Authentizität

Es gibt so viele Gründe, warum man tanzt, rein physische, seelische, emotionale, künstlerische, gesellschaftliche – so viele Gründe. Mit diesen Motiven sind verschiedene psychologische Vorgänge verknüpft. 1972 war ein Festival in Serbien in Leskovac, wo sie „izvorni tanci“, Tänze von der Quelle, „reine“ Folklore getanzt haben. Das blöde dabei war, bei diesem Festival konnte man etwas gewinnen. Es war ein Wettbewerb. Und das änderte die Sache sehr schnell: „Ja, wie können wir gewinnen? Unsere Folklore ist vielleicht zu einfach … Warte mal, der Dingsbums, hat der nicht einen Onkel in Belgrad? Der kennt bestimmt einen Choreographen. Wir holen einen Choreographen her, der schaut unsere Sachen an und der macht schon was. Wir gewinnen bestimmt.“ Dann kann man sehen wie, „unser Tanz“, „naško Kolo“, am Ende zu etwas ganz anderem wird, als wie wir es kennen. Und die Nachbarn im zwei Kilometer entfernten Dorf hören davon und holen jemanden und diese Konkurrenz schaukelt sich immer weiter auf.

So ist es öfters gewesen. Wir haben eine Gruppe von acht Männern und acht Frauen aus einem ostserbischen Dorf gesehen, aus Aleksinac. Sie tanzten für uns, meinen Freund und mich, sehr einfache, schlichte Tänze. Sie haben einen Tanz vorgeführt, dann den zweiten und den dritten … keine Choreographie. Wir haben sie gefragt, ob wir sie besuchen dürften in ihrem Camp, fünf Kilometer außerhalb, wo sie schliefen. Wir kamen am Nachmittag, gleich nach dem Mittagessen dort hin, wir haben unsere Rakija zusammen getrunken und wir sagten ihnen, wir wollten filmen. Die acht Männer standen auf und fingen an zu tanzen. Einer auf der linken Seite tanzte ganz anders. Er tanzte dieselben Schritte, aber stilistisch anders und einer sagte „Was machst du? Du tanzt ja blöd da, die wollen uns doch filmen!“ und wir sagten „Laß ihn doch, laß ihn doch, wir wollen sehen, wie jeder einfach für sich tanzt.“ „Nein, nein, das geht nicht! Das sind unsere Tänze!“ Einen Monat später waren wir bei ihm, bei der Hochzeit seiner Tochter. Da durfte er führen und alles tanzen und alle machten ihn nach. Es war so lustig! Es war interessant – sie haben schon eine Vorstellung davon gehabt, wie ein Tanz „richtig” getanzt wird. Wir haben das rein folkloristisch gesehen, aber sobald unsere Kamera da war, haben sie es genau nach ihren Vorstellungen haben wollen.

Ich war dann in dem Dorf, dessen Gruppe gewonnen hat. Sie haben einen Farbfernseher gewonnen. In dem Dorf gab es Elektrizität überhaupt nur an einer einzigen Stelle. Ich war eine Woche dort, in Südserbien, in der Nähe von Gnjilane. Es war sehr interessant. Was sie vorgeführt haben, haben wir nicht beim Tanz im Dorf gesehen. Wir wollten einen Tanz veranstalten, aber sie waren sehr zurückhaltend. „Man tanzt nicht einfach, um zu tanzen! Man tanzt, wenn es einen Anlaß gibt, eine Hochzeit oder einen Feiertag.“ Es hat lange gedauert, aber sobald wir gute Musiker gebracht haben, fingen auf einmal alle an zu tanzen. Da kam ein Schäfer: „Was ist denn hier los? Wieso weiß ich von nichts?“

Ich mache alles, von einfachsten Dorftanz bis zu hochgradig choreographierten Tänzen. Aber ich bin ehrlich, ich sage immer, was das ist, was ich mache.

(Stefan Kotansky Mitschnitt 2002)