Emma-Walzer – von der Volksweise zum Schlager und zurück

Ein Artikel über Walzer? Nein, über das Lied einer traurigen Liebe, das – mit oder ohne Gesang – in den letzten 30 Jahren zu einer der bekanntesten Walzermelodien der Folk- und Folkloretanzszene avanciert ist.

1999 erschien die CD „Emma – Folk Music from Sweden“ der schwedischen Gruppe Plommon. Darauf war – wer hätte das gedacht? – „Emma“ zu hören; als traditionelles finnisches Lied, das hier mit schwedischem Text gesungen wurde (1). Im CD-Booklet ist zu lesen, daß das Stück mittlerweile zu einem der bekanntesten Volkslieder Schwedens geworden sei. Plommon war jung, frisch und in aller Ohr – obendrein gaben sie noch ein zur CD passendes Notenheft in Deutschland heraus, so daß der weiten Verbreitung und dem Nachspielen der schönen Melodien in mitteleuropäischen Bal-folk-Kreisen keine Grenzen gesetzt waren (2).

Sucht man im Netz, findet man etliche Noten des Emma-Walzers, als „traditionell finnisch“ oder als kansanlaulu bzw. kansansävelmä (Volkslied bzw. -weise) bezeichnet. Schaut man jedoch auf Youtube, gibt es neben vielen „Emma“-Aufnahmen kontemporärer Musiker auch einige, die hörbar alt und mit frühen Schwarz-Weiß-Photographien populärer Sänger illustriert sind, denn die tragische Geschichte der enttäuschten Liebe zu Emma war einst ein Schlager – genauer: der erste finnische Schlager überhaupt.

Die englische Plattenfirma Gramophone (ab 1909 His Master’s Voice (3)), hatte bereits um 1903 eine Niederlassung in Finnland und konnte mit Aufnahmen des berühmten Revuesängers J. Alfred Tanner um 1910 manche Erfolge verbuchen. Durch den Ersten Weltkrieg, den finnischen Bürgerkrieg 1918 und die Erreichung der Unabhängigkeit des Landes mit allen wirtschaftlichen Folgen kam die einheimische Plattenproduktion für einige Jahre ganz zum Erliegen und erholte sich danach nur zögerlich. Ende der 1920er Jahre sanken jedoch die Schallplattenpreise aufgrund verbesserter Herstellungverfahren und reduzierter Exportzölle. Dies und der umfangreiche Import bezahlbarer tragbarer Grammophone machten Musik erschwinglich und allgemein verfügbar. Infolgedessen explodierte der Plattenmarkt förmlich (4, 5). 1929 wurden plötzlich Unmengen von Tanzmusik- oder Schlagerplatten direkt in Finnland oder im Ausland speziell für den finnischen Markt produziert.
Nach zwei Platten mit instrumentalen Tanzstücken brachte His Master’s Voice die Platte Nr. X 2990 heraus: „Emma“ – Valssi (Surkea rakkaustarina) (6), gesungen von Ture Ara (7), einem jungen, attraktiven Operntenor. Begleitet wurde er vom „Suomi tanssi-orkesteri“ unter der Leitung von Herman Sjöblom, der auch das Arrangement geschrieben hatte. Den Text verfaßte Väinö Siikaniemi (8). Die Aufnahme mit dem treffenden Untertitel „Jammervolle Liebesgeschichte“ verkaufte sich im Jahr ihres Erscheinens sagenhafte 30.000 mal. Ture Ara wurde so zum ersten Schlagersänger Finnlands – und „Emma“ zum ersten großen Hit.

Ture Ara mit dem Suomi Tanssiorkesteri (1929):

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https://www.youtube.com/watch?v=ggRnk0qeU7Q

 

Oi muistatkos, Emma, sen kuutamoillan,
kun yhdessä tansseista kuljettiin?
Kun sydämesi annoit ja rakkaudesi vannoit,
kun lupasit olla minun omani.

// Oi Emma, Emma, oi Emma, Emma,
kun lupasit olla mun omani. //

Minä uskoin ja vannoin ja sormuksen annoin,
ja lupasin olla sun omasi.
Sinä valasi taitoit, ja lahjastani laitoit
vain heiluvat renkahat korviisi.

// Oi Emma, Emma, oi Emma, Emma,
vain heiluvat renkahat korviisi. //

Ach, weißt du noch, Emma, diesen Mondscheinabend,
als wir gemeinsam vom Tanzen kamen?
Als du dein Herz gabst und deine Liebe schworst,
als du versprachst, mein zu sein. Oh Emma…

Ich glaubte und schwor und gab dir den Ring
und versprach dir, dein zu sein.
Du verbogst deinen Schwur*, machtest aus meiner Gabe
nur schwingende Ringe für deine Ohren**. Oh Emma…

* = brachst deinen Schwur
** i. e.: du hast mich betrogen

[Übersetzung: Nicole Weber]

Kaum war die Platte im Handel, gab es Nachahmer. Innerhalb eines kurzen Zeitraums wurden acht verschiedene Versionen des Liedes in Finnland selbst und in den Vereinigten Staaten aufgenommen, wo eine große Menge Exil-Finnen lebten (5). Der Text wurde jeweils verändert oder erweitert, die Musik neu arrangiert, das Stück bekam vielfach einen anderen Charakter.

Leo Kauppi und das Orchester von Antti Kosola (Leo Kauppi ja Antti Kosolan orkesteri), 1929 in New York:

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https://youtu.be/Y2-I1I17z3o?list=PL27mzFnmoWZxKFNhHLDQ6Kc3O6XaXY7wn

 

Aber wer war nun der Komponist der Melodie? Herman Sjöblom, dessen Instrumentalarrangement 1929 in mehreren Notenausgaben (9) und auch als Einspielung eines deutschen Tanzorchesters für den finnischen Markt erschien (10), gab an, es handele sich um eine Volksweise (kansansävelmä).
In der Datenbank von fono.fi wird die Melodie als „(alte) Tanzmusik, andere Volksmusik, (arrangiert, nicht authentisch)“ eingestuft. Eine weitere Quelle (5) nennt als Ursprung ein rekilaulu (wörtlich: Schlittenlied). Hierbei handelt es sich um eine Liedform, die sich ab dem 18. Jhd. in Finnland entwickelte und im 19. Jhd. immens populär wurde. Charakteristisch ist die gereimte vierzeilige Form der Strophen. Wahrscheinlich beeinflußt von den in Schweden, England und Deutschland verbreiteten Balladen, Moritaten und broadsides, entwickelte sich das oft spontan gedichtete rekilaulu zu einer Möglichkeit, die Umstände des eigenen Lebens sowie gesellschaftliche Geschehnisse zu verarbeiten. Die Wortwahl konnte dabei recht derb oder spitz ausfallen (11).

Beweise für Herman Sjöbloms Angabe des volksmusikalischen Ursprungs der „Emma“-Melodie, wie z.B. ethnomusikologische Noten- oder Tonaufzeichnungen, scheint es nicht zu geben. Ungeachtet dessen gilt das Stück in Finnland mittlerweile als traditionell, wird in Akkordeonheften und im Schulunterricht als solches vermittelt und fand, wie eingangs erwähnt, auch schon den Weg in die Folkloremusik Schwedens. Die enorme Popularität dieser Musik – und, wohlgemerkt, ihr Name – entstanden jedoch erst mit der Aufnahme Ture Aras im Jahre 1929.

Seit damals wurde und wird der „Emma“-Walzer immer wieder gespielt, gesungen und aufgenommen – von Folkloremusikern, Salon- und Tanzorchestern, Schlagersängern (wie z.B. Tapio Rautavaara in den 1960ern) und, wunderbar skurril, als rotzig-punkige 4/4-Einlage im Film „Populärmusik från Vittula“ („Populärmusik aus Vittula“, Regie Reza Bagher, SVE/FIN 2004):

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https://www.youtube.com/watch?v=I1PqjM-UQWM

 

 

(1) Säg minns du den gången, den månskenskvällen, då vi dansade helt allen?
Då du svor och du lova och heligt bedyra att alltid, alltid va min.
Å Emma, Emma, å Emma, Emma, du svor att alltid va min.
Sag, erinnerst du dich an dieses eine Mal, an den mondbeschienenen Abend, als wir ganz alleine tanzten? Du schworst und gelobtest und beteuertest, für immer, immer mein zu sein. Oh Emma, du schworst, für immer mein zu sein. [Übersetzung: JWK]

(2) Plommon Tune Book „Folk Music From Sweden“, Music Contact; ISBN 3-9804859-2-7; 1999

(3) https://de.wikipedia.org/wiki/His_Master%E2%80%99s_Voice

(4) http://www.suomalaisenmusiikinhistoria.fi/doc/fazer.pdf

(5) http://www.nrgm.fi/artikkelit/suomi-iskelman-ensitahdit-osa-1-gramofonikuume/

(6) http://www.45worlds.com/78rpm/record/x2990

(7) https://fi.wikipedia.org/wiki/Ture_Ara

(8) Einige Quellen geben auch Evert Suonio als Textdichter an. Suonio war der Autor des Liedes „Villiruusu“ auf der B-Seite der Platte X 2990, möglicherweise wurden aufgrund dessen falsche Rückschlüsse gezogen. Da auf dem Plattenlabel von „Emma“ nur Interpret/en und Arrangeur genannt wurden, halte ich mich an die hervorragend recherchierten Musiklisten von Olli-Pekka Puranen: http://www.aanitearkisto.fi/firs2/fi/kappale.php?Id=Emma

(9) 1. Tanssiuutuuksia („Tanzneuheiten“), Hrsg. Dallapé-orkesteri. Dallapé-vihko Nr. 4, Helsinki 1929
2. Emma, Valssi. Suomalainen kansansävelmä, sovittanut Herman Sjöblom. Westerlund, Leipzig 1929.

(10) Homocord Nr. O.4-23041:
Homocord-Orkesteri (Fred Bird’s Rhythmicans) -1.1930 (also 1929), Berlin,
T.C.1754 Emma, valssi (2:52), (sov. Herman Sjöblom)
T.C.1756 Katinka, foxtrot (3:07), (Henry Tobias)
http://archiv.phonomuseum.at/includes/content/lindstroem/HOMOCORD.pdf

(11) http://www.lyseo.edu.ouka.fi/suomimusa/runko.html
https://en.wikipedia.org/wiki/Rekilaulu
http://www.hs.fi/kulttuuri/a1442373995972