Bojerka/Biserka

Er ist in unserer Folkloretanzszene schon seit Jahrzehnten bekannt und bis heute beliebt, dieser Tanz mit den zwei Namen: „Bojerka-Biserka”, oder auch „Biserka-Bojerka” – oder auch „Bojarka” statt des korrekten „Bojerka”.

Eigentlich handelt es sich dabei um zwei verschiedene Melodien, von denen die Bojerka die bekanntere ist – allerdings oft unter dem Namen „Biserka”. Die Namensverwirrung geht zurück auf zwei Besonderheiten unserer „Perle”: Erstens ihr Schrittmuster und zweitens die Musikedition.

Zwei oder einer?

Bojerka und Biserka sind zwei verschiedene Melodien, auf die um 1900 in städtischen Kreisen in Belgrad, Kragujevac, Niš und wahrscheinlich auch in Novi Sad ein und derselbe Tanz getanzt wurde. Kombiniert wurden sie durch Radio Televizija Beograd auf einer 78er Schallplatte Anfang der 1950er Jahre unter dem Titel „Biserka”. Rickey Holden von den Folkraft Records brachte dann dieselbe Aufnahme als „Biserka-Bojarka” heraus, nachdem er den Rat von Desa Djordjević aus Belgrad eingeholt und erfahren hatte, daß der Tanz Bojerka dieselben Schritte hat wie Biserka. Er hat dabei allerdings nicht beachtet, daß sein Musiktitel die beiden Melodien in umgekehrter Reihenfolge nennt, gegenüber ihrer Abfolge in der Aufnahme. Diese präsentiert obendrein die beiden Melodien in Form eines durchgehenden Potpourris ohne Pause, wodurch sie für den Hörer kaum mehr zu unterscheiden sind und den Eindruck erwecken, es handele sich nur um einen Tanz.

Mit der Weitergabe der Tanzmusik von Hand zu Hand in Form von einer Kopie von einer Kopie von einer Kopie … – die verdienstvollen Folkloretanzmusikeditionen bereits den Garaus gemacht hat, zuletzt der Reihe „Tänze im Kreis” (Hepp/Fidula) (1) – wurde nicht nur die Tonqualität der Aufnahmen schlechter, auch der Name änderte sich allmählich: aus Bojerka und Biserka wurde „Biserka-Bojarka” (Holden hatte da bereits ein „a” hineingeschmuggelt) und vielfach nur noch „Biserka”. Welche von den beiden Melodien nun eigentlich die Biserka und welche die Bojerka war, geriet in Vergessenheit – sogar in Serbien, wie eine jüngere Aufnahme bei Vladimir Tanasijević belegt (2), die allein die Biserka-Melodie enthält, aber unter der Bezeichung „Bojerka”. Wer bisher nur „Biserka” kannte, wundert sich, was er da hört.

Dankenswerterweise hält Folkloretanznoten.de die beiden Melodien unter ihrer jeweiligen korrekten Bezeichnung auseinander (3). Dort kann man anhand der Noten nachlesen, welche Melodie die Biserka ist und welche Bojerka.

Bojerka – Bojarin – Boiereasca – Barynja

Der Name „Bojerka” verführt manche eifrige Tänzer zu der Vermutung, es liege hier ein „russischer Einfluß” vor (4), weil die russische Sprache ein ähnliches Wort kennt. So einfach ist das aber nicht.

Das russische Wort „bojarin” und das rumänische „boier” gehen beide zurück auf das slawische „bojar”; in beiden Sprachen bezeichnet das entsprechende Wort einen niederen Adel, der nur einem Fürsten untergeordnet war. In Rumänien gibt es viele Tänze mit Namen wie „Boieresc”, „Boiereasca”, „Boiereşte” (5) und manche von ihnen haben dasselbe Grundschrittmuster wie Biserka/Bojerka. Die serbische Oberschicht des späten 19. Jh. liebte aus Rumänien importierte Musik und Musiker. Ohne Zweifel war der Name „Bojerka” die serbische Übersetzung einer rumänischen Melodie namens „Boiereasca”, so wie der serbische Kolo „Dunjeranke” oder „Dunje Ranke” die serbisierte rumänische „Dunăreancă” („Mädchen von der Donau”) ist und „Kokonješte” die serbische Form des rumänischen „Coconeşte” („Tanz eines jungen Adligen”) usw.

Anzumerken wäre noch, daß das russische Wort „bojarin”, weibl. „bojarynja” in der Zeit der Revolution umgangssprachlich zu „barin” und „barynja” wurden, mit denen einfache Leute (Dienstboten, Kutscher, Marktfrauen) Personen von höherem Stand ansprachen. Eine Melodie mit dem Namen „Barynja” wurde sehr populär als Begleitung zu einem improvisierten Solo- oder Paartanz des Typs „pljaska“ or „perepljas”. Dieser hat allerdings rein gar nichts mit der serbischen Bojerka zu tun.

„Biserka” ist übrigens ein serbischer weiblicher Vorname, abgeleitet aus dem Wort biser (Perle oder fig. Juwel).

Ein grundlegendes Schrittmuster

Was nun die Tanzschritte betrifft, ist das Muster recht einfach. Lang – – lang – – kurz-kurz-lang oder rechts – – links – – rechts-links-rechts und die Wiederholung gegengleich: links – – rechts – – links-rechts-links. Das ist derart schlicht und grundlegend, daß man es in vielen Tänzen in vielen Variationen antreffen kann. In Serbien z.B. als Sarajevka, Devojačko kolo, Šetnja, Radikalka, Haj haj Bože daj, usw. Sie sind alle im 2/4-Takt notiert, nur Biserka und Bojerka stehen im 3/4- oder 3/8-Takt. In Rumänien heißt die Schrittfolge „Hora Mare“, „Hora de la Câmpulung“, „Hora Moldoveneasca“, „Hora Unirii“ (im 2/4-, 4/4-, 6/4- oder 6/8-Takt). Sie ist auch der Grundschritt von Tänzen aus der Dobrudža des bulgarischen Typs „Râka” und der rumänischen „Hora de mâna” (beide Bezeichnungen bedeuten „Hand”). Ron Houston geht in seiner Beschreibung im Folk Dance Problem Solver der SFDH noch weiter und zählt noch mehr rumänische, serbische, bulgarische Tänze zur Verwandtschaft der Biserka, allein wegen des Musters „lang – – lang – – kurz-kurz-lang”.

Und damit sind wir wieder bei der Eingangsfrage: Ein Tanz oder zwei? Nun – die Antwort ist ein entschiedenes „Jein”.

Q.: Dick Crum und Yves Moreau bei SFDH (http://www.sfdh.org/encyclopedia/biserka0.php)

(1) Siehe Tanzbeschreibungen zu Tänze im Kreis 8, S. 4

(2) auf der CD „Folklor kao sudbina 1”

(3) http://www.folkloretanznoten.de/Biserka-Bojerka.pdf

(4) siehe http://www.sfdh.org/encyclopedia/biserka0.php

(5) Die rumänische Sprache kennt ähnlich wie das russische ein „weiches” „e”, „je” gesprochen. Daher findet man im Rumänischen die genannten Namen auch mit der Schreibweise „Boeresc”, „Boereasca”, „Boereşte” ; sie werden aber „Boieresc”, „Boiereasca”, „Boiereşte” gesprochen. Vgl. auch „Coconeşte/Kokonješte”.

Aufnahmen: 

„Biserka Kolo” auf Jugoton: Bosanske Narodne Pjesme i Plesovi (LPM-5),
„Biserka-Bojarka” (medley) auf Folkraft 1567 (Aman Folk Orchestra)
„Biserka Bojarka” auf De Mooiste Muziek uit Joegoslavië, Dennis Music Wim Bosheck, Vivace Vacances, V­-407
„Biserka – Bojarka” auf Mitmachtänze 1, Fidula CD 4473 (Liz. Folkraft)