Karamfil

Aus der Artikelserie Waar komt die dans vandaan?“ (Woher kommt der Tanz) von Radboud Koop

Beim Googeln nach ”Karamfil“ erhält man etwa 40.000 bis 55.000 Treffer, von Tag zu Tag unterschiedlich – anscheinend ein weltberühmter Tanz. Na ja, vielleicht in der internationalen Volkstanzszene, aber natürlich haben nicht alle Treffer einen Bezug zu dem Tanz Karamfil.

Karamfil ist ein Wort in mehreren Sprachen (einschließlich Bulgarisch und Türkisch; es bedeutet in beiden Sprachen Nelke/Blume oder Nelke/Gewürz) und viele Treffer haben nichts mit Tanz zu tun. Einige Treffer haben nur indirekt etwas mit dem Tanz zu tun, weil z.B. Volksmusikorchester es als ihren Namen gewählt haben, vielleicht als Reaktion auf die Popularität des Tanzes.

Guter Geschmack

Einige Google-Treffer beziehen sich auf Internetseiten, die eine Tanzbeschreibung des Karamfil enthalten, in verschiedenen Sprachen: Englisch, Französisch, Deutsch, Chinesisch, Japanisch. Einige von ihnen erwähnen, dass Karamfil ein traditioneller Tanz aus Bulgarien ist, und zwar aus dem bulgarischen Teil von Makedonien, dem Pirin (benannt nach dem gleichnamigen Gebirge). Wenn Sie allerdings im Pirin herumfragen, ob jemand den Tanz Karamfil kennt, werden die Leute Sie alle mit stummem Erstaunen anschauen, auch dortige Volkstanzkenner. Nein, Karamfil kennen sie nicht, das ist kein Tanz aus der Region. Nur vielleicht – und dann wirklich nur vielleicht – erinnert sich jemand an ein Lied unter dem Titel Karamfil. Aber dann haben Sie Glück, denn eigentlich war dieses in den 70er Jahren von Herrn Dimitâr Janev geschriebene und komponierte Lied (das gleiche Lied, auf das wir den Tanz tanzen) nicht wirklich ein Hit in Pirin, geschweige denn in Bulgarien.

Wie erklärt sich dieser Widerspruch? Wir haben dem guten Geschmack von Jaap Leegwater für schöne bulgarische Musik und Tänze einiges zu verdanken. Für diejenigen, die ihn nicht kennen: Jaap Leegwater ist tatsächlich der erste Holländer, der sich bereits in den siebziger Jahren auf bulgarische Volkstänze spezialisiert hat. Er war zu dieser Zeit die große treibende Kraft hinter der Popularität der bulgarischen Volkstänze in Holland. Er steht auch am Beginn der erfolgreichen bulgarischen Volkstanzkarrieren von Leuten wie Eddy Tijssen, Bianca de Jong und Leo Waudman. Später lebte er lange in Amerika, wo er zusammen mit seinem kanadischen Kollegen Yves Moreau (auch ein Spezialist für bulgarische Volkstänze) den bulgarischen Volkstanz populär gemacht hat.

Širto

Bei einem Drink und herrlicher bulgarischer Volksmusik haben Jaap Leegwater und Radboud Koop einen Nachmittag lang Gedanken ausgetauscht über Bulgarien, bulgarische Musik und Tanz und en passant das „Sündenregister“ des Karamfil aufgedeckt. Als Jaap die LP mit Karamfil zum ersten Mal hörte, war es sofort um ihn geschehen. So schön und raffiniert war die Musik. Die LP ist eine in den 70er Jahren erschienene Balkanton-LP mit der Nummer BTA 10329 unter dem Titel „Glasove ot Pirin – Pesni ot Dimitâr Janev“ (Stimmen aus dem Pirin – Lieder von Dimitâr Janev). Die Platte ist in der 3-LP-Box „Pirin Pee – Pesni ot Dimit âr Janev“ (Pirin singt – Lieder von Dimiter Yanev) enthalten. (Dies ist die blaue Box und nicht die viel bekanntere rote mit vier LPs des Pirin Ensembles.) Das Lied Karamfil, Seite A Spur 1, mit dem für Makedonien so bezeichnenden 7/8–Takt, hatte es ihm besonders angetan – eine qualitativ gute und brauchbare Aufnahme für einen traditionellen 7/8-Tanz aus dem Pirin, den er schon vor Ort gelernt hatte, den Širto. Das ist so etwas wie ein Standardtanz im Struma-Gebiet im bulgarischen Makedonien (etwa der Pravo Horo des Pirin), in der Region zwischen den Städten Petrič, Bansko und Goce Delčev.

Širto kommt auch im griechischen und jugoslawischen Makedonien vor und ist mit dem griechischen Syrtos verwandt. Nicht nur das Wort, auch die Schritte sind verwandt. Die Grundschritte des Širto bestehen aus zwei Dreierschritten (im Rhythmus lang-kurz-kurz) in Tanzrichtung, gefolgt von zwei Dreierschritten am Platz und / oder zurück. Die Grundschritte sind auch mehr oder weniger dieselben wie die des berühmten griechischen Tanzes Kalamatianos. Während der Dreierschritte kann man auch vorne oder hinten kreuzen. Dies führt zu verschiedenen Varianten des Širto, wie man sie in verschiedenen Dörfern antreffen kann. Die Širto-Variante, die Jaap Leegwater für die erste Figur des Karamfil verwendete, lernte er im Jahr 1979 von einer Gruppe aus dem Dorf Debren in der Nähe der Stadt Bansko. Kennzeichnend für diese Variante ist das vordere und hintere Kreuzen während des 3. und 4. Taktes (wie bei einem sog. „Mayim-Schritt”). Die erste Figur ist also der traditionelle Širto von Debren. Die 2. Figur (zur Mitte) ist eine – von Jaap zusammengestellte – Variante der Art, wie viele Širto-Varianten in der Tradition vorkommen.

Gesang und Tanz

Tänze, die ‚vor Ort‘ gelernt werden, können nicht immer direkt in den Turnhallen und Gemeindezentren verwendet werden, wo die Volkstanzgruppen wöchentlich ihre Übungsabende haben. Volkstänzer, die nicht nur bulgarisch-makedonisch, sondern gut und gerne Dutzende verschiedener Stile tanzen, brauchen Klarheit, Hilfestellung und Struktur, festgelegte Tänze und brauchbare Musikaufnahmen, wenn keine Live-Musiker verfügbar sind, die die Übungsabende begleiten und all diese Stile gut spielen können. Jaap Leegwater hatte eine Aufnahme des Širto vor Ort in Debren gemacht, von lokalen Musikern mit Zurna und Tâpan gespielt. (1) Eine typische Zurna-Tapan-Band besteht in dieser Gegend aus drei Musikern: einem Zurna-Spieler, der die Melodie, ein zweiter Zurna-Spieler, der eine Art Bordun spielt und ein Tapan-Spieler. Diese Art von Musik, durch die Lautstärke ideal für draußen, ist sehr stark und treibt an zum Tanzen. Unsere westlichen empfindlichen Ohren müssen sich jedoch sehr an diese Art von Musik gewöhnen und die erste Reaktion von Menschen (einschließlich Volkstänzer) ist meist: „mach‘ den Krach aus!“. Dass Jaap Leegwaters Wahl für den traditionellen Debren-Širto auf eine so schöne, gefühlvolle und melodiöse Musik wie Karamfil fiel, erwies sich dann auch als ein geschickter Griff und hat sicherlich zur Popularität des Tanzes beigetragen. Der Tanz Karamfil ist so bekannt und beliebt, dass er als Visitenkarte von Jaap Leegwater betrachtet werden kann. Und so, wie es beispielsweise mit dem überaus bekannten Makedonsko Devojče von Ciga und Ivon Despotović (traditioneller Tanzname: Lesnoto, Makedonsko Devojče ist der Titel des Liedes) passiert ist, ist Karamfil inzwischen weltweit unter diesem Namen als Tanz bekannt geworden, während es eigentlich der Titel des Liedes ist, auf das der Tanz Širto getanzt wird.

Partisanen

Zurück zu Karamfil. Nachdem Jaap Leegwater den Debren-Širto – auf die Melodie von Karamfil – erst in der Volkstanzgruppe Terpsichore in Amsterdam ausprobiert hatte (was gut gefiel), nahm er den Tanz in das Programm „Bulgaarse volksdansen 1“ auf (gelbe Kassette + Buch). Mit diesem Programm unterrichtete Jaap auf dem Balkan-Festival in Brügge (Belgien), wo der Karamfil zum ersten Mal einem breiten Publikum beigebracht wurde. Der Tanz wurde ein großer Erfolg und begann von Brügge aus seinen Marsch über die ganze Welt. Logisch also, dass er ihn im Jahr 1985 in das Tanzprogramm seiner zweiten bei Balkanton produzierten LP „Folk Dances from Bulgaria“, Balkanton BHA 11134 (Spur A3) aufgenommen hat. Er ist mittlerweile so beliebt, dass er selbst 20 Jahre später noch (2003) in den Teil 5 der von Michael Hepp in Deutschland herausgegebenen Serie „Tänze im Kreis” (Fidula CD 8895) aufgenommen wurde, allerdings ohne in der Tanzbeschreibung zu erwähnen, dass der Tanz ein traditioneller Širto ist, der von Jaap Leegwater mit der Musik von Karamfil kombiniert wurde.

Der Titel Karamfil wird vom berühmten bulgarisch-makedonischen Sänger Dimitâr Kolarov gesungen, begleitet von dem Orchester des Ensembles Pirin in kleiner Besetzung unter dem Dirigenten und Arrangeur des Ensembles Stojan Stojanov. Sowohl die Musik als auch der Text des Liedes wurden neu von Dimitar Janev komponiert und sind also nicht traditionell. Der Stil der Ausführung ist aber sehr wohl der traditionelle Pirin-makedonische. Nach dem Buch „Pirinski pesni“ von D. Janev (State Publisher Muzika, Sofia, 1980) ist das Lied dem Partisanenführer Kosta Mitov aus dem Dorf Vojnjagovo (nahe der Stadt Karlovo im Tal der Rosen im Balkangebirge, nicht im Pirin!) gewidmet, der im Zweiten Weltkrieg im Kampf gegen den Faschismus gestorben ist. Diese Art der politisch aufgeladenen Lieder diente in dieser Zeit sicherlich einem nationalistischen Interesse. Die Nelke (Karamfil auf Bulgarisch ist vermutlich ein Lehnwort aus dem Türkischen) war ein Symbol für die Partisanen und wenn etwa über Nelken gesprochen wurde, dann meinte man die Partisanenkämpfer. Im Buch Tänze im Kreis Teil 5 wird bei der Beschreibung des Karamfil übrigens zu Unrecht auf die Partisanen (haiduci) zur Zeit der türkischen Herrschaft auf dem Balkan hingewiesen, denn diese endete nämlich 1912 nach dem Ersten Balkankrieg. Nett ist, dass der Tanz von Jaap Leegwater auf die Musik Karamfil offenbar so beliebt ist, dass der bulgarische Choreograph Belčo Stanev, der hauptsächlich in Deutschland tätig ist, den gleichen Tanz zu dieser Musik in sein Programm „Bulgarian Folk Dances 2” von 1998 (Balkanton ADD 060195) aufgenommen hat (wiederum ohne Hinweis auf Jaap Leegwater).

Als Jaap Leegwater im Jahr 1992 zusammen mit Yves Moreau bei dem bulgarischen Verlag Gega eine CD mit den populärsten Volkstänzen aus ihren beiden Programmen zusammenstellen wollte (Ajde na horo, 20 Bulgarian Folk Dance Favorites, Gega CD 134), entschied Jaap sich natürlich auch für Karamfil. Aber Gega, Konkurrent von Balkanton, wollte die Lizenz der Originalaufnahme von Balkanton nicht kaufen und lieber alle Titel neu aufnehmen. Also wurde  Dimitâr Kolarov gesucht und gefragt, ob er das Lied nochmal singen wollte. Aber Herr Kolarov war schwer zu finden. Da steckte wohl mehr dahinter als eine alte Adresse oder so etwas, wahrscheinlich eher die bereits erwähnten „politischen Untertöne“ des Liedes. Dass Karamfil sich daher nicht auf „Ajde na horo” befindet, mindert nicht die Bekanntheit und Beliebtheit des Tanzes. Karamfil wird auf der ganzen Welt getanzt und aus voller Brust mitgesungen: “Eeee-hee-heee, eee-hee-heee, Karamfil, partizanski majko, slaven komandir!”

(1) Die Zurna ist ein oboenartiges Rohrblattinstrument, ähnlich wie eine Schalmei, ein verbreitetes traditionelles Blasinstrument in Ländern wie China, Zentralasien, dem Nahen Osten, Nordafrika und dem Balkan. Der Tâpan ist eine große Trommel mit doppeltem Fell (türkische Trommel), die mit einem Gürtel über die Schulter gehängt und auf beiden Seiten gespielt wird, eine Seite mit einem dicken Stock für den Takt, die andere Seite mit einer dünnen Rute für die rhythmischen Verzierungen.

Radboud Koop (nach einem angenehmen Nachmittag mit Jaap Leegwater) 2007

Q.: http://www.steigan.net/Syncoopnieuws/archief/2007/20.html

Übersetzung und Redaktion: Herwig Milde, unterstützt durch Google Übersetzer