Khosidl

 heißt „im chassidischen Stil“, „der Chassidentanz“. Er wird nicht von den Chassiden getanzt, sondern er zeigt, wie die Nichtchassiden sich die Chassiden bei ihrer Tanzbegeisterung vorstellen. Die Schritte sind einfach: Hüpfer, gehen, Wechselschritt, stampf-stampf Wechselschritt, stampf-stampf Wechselschritt, stampf-stampf Wechselschritt, Wechselschritt, stampfen … alles Mögliche, in alle Richtungen gehen, auch zur Mitte und solo tanzen.

Am liebsten soll der Khosidl frei getanzt werden, aber manchmal sind wir als Tanzleiter erfolgreicher, wenn wir eine feste Form vorgeben. Mit der Zeit sieht man dann, daß man sich von der festen Form lösen kann. Meine Erfahrung ist, daß die meisten – und das ist nicht jeder! – doch etwas Sicheres und Festes haben müssen. Es dauerte in Ungarn zwanzig Jahre, bevor die Tanzhausbewegung einsetzen konnte. Es brauchte spezielle Lehrer, die wirklich mutig versuchten, den Leuten beizubringen, wie man im Dorf tanzt. Früher war alles choreographiert. Es ist natürlich schwer … „Ach, hier ist ein Sack voll Schritte, geh, mach, was du willst!“ Ich sehe, daß die meisten, wenn die Musik spielt, auch nach acht Jahren beim Čoček sich nicht trauen, vorneweg oder allein mit den Motiven zu spielen. Auch im Balkan ist das so. Nicht jeder will vorne hin gehen und allein tanzen. Viele fühlen sich viel bequemer im „Kolo“ – im Kreis.

Bei den Tänzen im Balkan findet man eine Entwicklung des Bewußtseins vom Tanzen in Gruppen zum individuellen Tanzen. Das finde ich sehr schön, daß das dort im Tanz noch stark lebt. Ich glaube, daß viele, die den Volkstanz entdecken, doch das Gruppengefühl suchen – besonders im Westen. Wenn man einfach auf der Straße geht und alle jetzt Kopfhörer oder ihre Nase in der Zeitung haben – es ist unmöglich bei uns in New York, aber auch sicher, mit Kopfhörer und Zeitung in der U-Bahn zu sitzen: Dann stört dich keiner; da wird keiner kommen und Geld verlangen oder so was und irgendwann wollten Leute das doch mal wiederfinden. Es gab den Balkan, stark, aber es gab auch langsam diese Entwicklung zum Individuellen. Das ist eine sehr interessante Sache. Ich habe es erlebt, daß ältere Leute im Dorf zu einem sagten: „Nee nee, das darfst du nicht denen vormachen, so machen wir das nicht!“ Das sagten sie zu einem Siebzigjährigen! Er hat so getanzt: …, mit seinen Beinen so … und alle anderen Männer haben gesagt: „Aufhören! Du darfst das nicht machen! Du führst den Tanz nicht an!“ Und mein Freund und ich sagten: „Nein, nein, das ist in Ordnung, wir wollen sehen, wie ihr tanzt.“ Und sie sagten: „Nicht, wenn er so tanzt!“ Das ist mir in Ostserbien passiert; diese Leute waren alle sechzig, siebzig Jahre alt. Einen Monat später waren wir bei der Hochzeit seiner Tochter und er durfte alles! Aber alle anderen haben so getanzt …! In diesem Moment haben sie ein Bild davon gehabt, wie das im Dorf getanzt wird. Er durfte das nicht anders machen, aber das war sein Fest, da durfte er machen, was er wollte und alle feierten seinen Tag.

(Stefan Kotansky, Mitschnitt 2001)