Tanzrichtung: früher überall links

Folkloretänzern, die sich nicht ausschließlich den Tänzen eines einzigen Landes widmen, ist die merkwürdige Unterscheidung vertraut: kroatische Tänze werden, so heißt es, nach links, serbische nach rechts getanzt. Man spricht da von einer Vorzugstanzrichtung.

Dies ist das Thema schlechthin unseres Webmagazins. Wir sind Michel Hepp dankbar dafür, daß er sich ihm in seiner Dissertation „Genese und Genealogie westeurasischer Kettentänze” in Kapitel 5 ausführlich gewidmet hat. Er kommt dabei zu aufschlußreichen Erkenntnissen.

Betrachtet man die Kettentänze (1) Europas bis in den Nahen Osten, sind zwei Großregionen mit unterschiedlicher Vorzugsrichtung erkennbar. Die Grenze zwischen ihnen verläuft von der Mündung der Neretva/Herzegowina über die Donau in Ungarn, zwischen Böhmen und Mähren, die polnische Westgrenze und die lettische Nordgrenze entlang. Östlich davon ist die bevorzugte Tanzrichtung rechts (gegen den Uhrzeigersinn – gUZS) und westlich (und nördlich) davon ist sie links (im Uhrzeigersinn – iUZS). In Serbien, Bosnien und Kroatien hat diese Grenze Unschärfen, was dem Gesamtbild jedoch keinen Abbruch tut. Das Vorherrschen der jeweiligen Vorzugsrichtung ist so ausgeprägt, daß Ausnahmen davon ausdrücklich als solche benannt werden – in Bulgarien „ljavo” oder „ljavata”, in Griechenland „zervos”; die Bezeichnungen bedeuten in beiden Sprachen „Linker” oder „die Linke”.

Warum bevorzugt?

Diese bevorzugten Richtungen sind durchaus nicht zufällig. Sie sind verbunden mit ethischen Bewertungen. Die jeweilige Vorzugsrichtung gilt als gut, richtig, heilsam oder gar heilig; im „Rechtstanzgebiet” ist nach rechts die richtige, gute Richtung und was nach links geht, gilt als ungut, evtl. riskant; das gilt insbesondere für rituelle Handlungen wie z.B. das Umkreisen des Altars: grundsätzlich gegen den UZS. Im „Linksgebiet” ist nach links (iUZS) „gut” und „richtig”, nach rechts (gUZS) steht in Bezug zu gefährlichen Mächten und zum Reich der Toten.

Wohin zuerst?

M. Hepp kommt in früheren Kapiteln zu dem Ergebnis, daß die westeurasischen Kettentänze aus einem gemeinsamen Ursprung stammen (2). Für ihre Vorzugstanzrichtung ergibt sich daraus gleichzeitig die Hypothese, daß es eine ursprüngliche einheitliche Vorzugsrichtung gegeben haben muß. Welche Richtung war das? Und Welche(n) Ursache(n) führte(n) zur unterschiedlichen Entwicklung im europäischen „Rechtsgebiet” und „Linksgebiet”?

Schriftliche Zeugnisse, die diese Fragen beantworten könnten, gibt es in aussagekräftiger Zahl erst ab dem Mittelalter. Für die Zeit davor bis zurück zum Neolithikum sind bildliche Darstellungen (bemalte Keramik, Figuren, Reliefs) die häufigsten Zeugnisse über Tanz. Eine statistische Auswertung dieser Darstellungen zeigt, daß ursprünglich überall nach links (iUZS) getanzt wurde. Das heutige „Linksgebiet” hat diese Richtung (für Kettentänze!) bis heute beibehalten; im „Rechtsgebiet” hat in einem langsamen Prozeß zwischen 500 v. C. und 1000 n. C. eine Umkehrung stattgefunden, nach der bis heute nach rechts (gUZS) getanzt wird. Zu der Aussage der Bilder gesellen sich Autoren unserer Zeit, die diesen Befund für das „Rechtsgebiet” bestätigen: Tanzrichtung iUZS in vorchristlichen slawischen Kulturen, bei alten vlachischen Tänzen und alten griechischen Tänzen.

Warum später nach rechts?

Als Ursache nimmt M. Hepp einen Wandel in der religiösen und ethischen Bewertung von „rechts” und „links” an. Dafür sprechen die Wertsysteme in der Antike; im antiken Rom, bei germanischen Stämmen und bei den antiken Slawen war „links” positiv bewertet; bei den antiken Griechen und im Alten Testament ist rechts die gute, heilsbringende Seite. Die Christianisierung, so die naheliegende Schlußfolgerung, trug diese Bewertung von Südosteuropa ins übrige Europa. Im östlichen Europa kehrt sich die Vorzugstanzrichtung dadurch um.

Merkwürdig ist aber, daß dies – grob gesagt – in Westeuropa nicht der Fall ist. M. Hepp führt dazu einen weiteren tanzhistorischen Befund an: „Zu diesem Zeitpunkt waren die Kettentänze des westlichen Europas aber nicht mehr religiös rituell eingebunden. Sie wurden überwiegend in einem geselligen Kontext ausgeführt, was dazu führte, dass sie ihre alte Richtung beibehielten, soweit sie überhaupt noch getanzt wurden.” (3) – Denn: „Ab dem 12. Jh. ersetzten die Paartänze zunehmend die Kettentänze.” (4) Die übriggebliebenen westeuropäischen Kettentänze waren so dem strengeren Reglement durch Kirche und Obrigkeit jedenfalls soweit entzogen, daß es keine Veranlassung mehr gab, ihre Richtung zu ändern. Reglementierungen und Verbote richteten sich eher generell gegen „unsittliche Umtriebe” beim Tanzen.

Michel Hepps Dissertation und darin das Kapitel 5.6 über die Vorzugstanzrichtung im Detail kann online eingesehen werden (Link oben anklicken oder die folgende Adresse kopieren):
http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:hbz:6-78239511881


(1) Tänzer bzw. Tänzerinnen, gemischt oder auch nach Geschlechtern getrennt, bei den Händen, den Schultern oder am Gürtel der Nachbartänzer gefaßt, d.h. nicht solo.

(2) aus dem neolithischen nahöstlichen Ursprungsgebiet des Ackerbaus

(3) Hepp, M.: Genese und Genealogie westeurasischer Kettentänze, S. 332

(4) a.a.O. S. 195

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