Ajde Jano ist nicht total erfunden. Das ist eine Choreographie, aber … Sagen wir, ihr seid alle Choreographen und ihr hört eine schöne Musik an. Und dann macht ihr ein paar schöne Schritte, das paßt dazu und das … Und die meisten denken, von A bis B dauert eine melodische Phrase. Die meisten von uns werden auf der Basis von melodischen Phrasen arbeiten. Ich habe das öfters gemacht, zum Beispiel mit dem Ne Fély Lányom, allerdings mit traditionellen Schritten, ein bißchen angepaßt.
Die Melodie von Ajde Jano hat vier Takte, aber der Tanz hat fünf Takte (1). Fünf Takte sind sehr typisch für Südserbien. Das sieht man auch bei Op Sa – das ist eine Vranjanka (2). Die Jugendlichen in Amerika, die den Op Sa erfunden haben, für die ist eine fünftaktige Schrittfolge etwas Fremdes. Die haben die Musik auf der Tamburica gespielt und alle tanzten was. Einer stand auf: „Ja, was tanzen wir da drauf?“ und hat was angefangen, etwas wie Vranjanka. Das ist ihnen nicht bewußt, sie kennen keine Vranjanka. Daran kann man sehen, daß es eine Art „Volksprozeß“ ist, wie ein Tanz zum Leben kommt. Ajde Jano ist von Anatol Joukovsky. Er war Ballettmeister aus Belgrad. Seine Frau war die Primaballerina vom Belgrader Staatsballett bis zum Zweiten Weltkrieg. Dann ist er ausgewandert nach Amerika. Als Tanzmeister aus Osteuropa mußte er Volkstanz, Ballett und Gesellschaftstanz unterrichten. Er hat Horehronsky Čardaš gelehrt und Čamčeto, Ajde Jano, soviel ich weiß und viele andere Tänze gemacht. Diese Tänze sind choreographiert, aber immer mit einer starken Verbindung zum Volkstanz. Das ist es, was ich damit sagen will: Ajde Jano mit seinen Bewegungen auf fünf Takten habe ich noch nicht in einem Dorf gesehen. Vielleicht gibt es ihn irgendwo. Ich kann nicht sagen, daß es ihn nicht gibt, aber meiner Meinung nach ist es ein choreographierter Tanz, aber trotzdem sehr nahe an der echten Folklore.
Nach der Wende hat sich die Lage [der Folkloretänze in Südosteuropa] sehr schnell geändert. Weniger in Ungarn, dort sind weniger Tanzgruppen Amateure. Aber Bulgarien wurde sehr hart getroffen. Die Albaner, die ins Ausland geflohen sind, finden sich woanders wieder und müssen etwas Gemeinsames finden, wie die Armenier, die im Exil festgestellt haben, daß sie aus verschiedenen Dörfern kommen, zwar eine gemeinsame Sprache sprechen, aber keine gemeinsame Tanzkultur haben. Also, was machen sie, wie die Israelis, sie erfinden was Neues. Aber die Elemente sind die von ihren Verwandten, von ihrer Erinnerung. Der eine sagt: „so haben wir das gemacht“ – der andere: „so haben wir es gemacht, o.k., gut, machen wir es so, dann haben wir zwei Schritte von dir und zwei Schritte von mir.“
(Stefan Kotansky Mitschnitt 2002)
(1) Tanzbeschreibung Ajde Jano auf herwigmilde.de
(2) Tanzbeschreibung Vranjanka auf herwigmilde.de