Folkloretanzfolklore
Durch eine Diskussion unter Mitgliedern der EEFC-Liste (Eastern European Folklife Center) sind wir auf einen hübschen, einfachen Tanz aus Serbien wieder aufmerksam geworden, der uns etwa um 1980 erstmals begegnet ist. Wie so oft in dieser Zeit kam er auf dem Umweg über die USA zu uns , d.h. in das deutsche universitäre Folkloretanzmilieu. Es handelt sich um Ajde lepa Maro. Wir haben ihn damals gerne und oft getanzt; sein weiteres Schicksal ist uns nicht bekannt, jedenfalls was Gruppen außerhalb Freiburgs betrifft. Hier wurde er mindestens bis 2014 getanzt.
Auf seiner Reise über den Atlantik (und im häufigen Gebrauch) hat der Tanz etwas gelitten. Wir sehen jetzt, dass seine ursprüngliche Form sich in wichtigen stilistischen Details von der unseren unterscheidet – übrigens bereits in der handschriftlichen Tanzbeschreibung von 1980. Auch haben wir uns lange nicht um den doch ziemlich brisanten Text des Liedes gekümmert und Ajde lepa Maro dreißig Jahre lang völlig ahnungslos getanzt.
Das Lied
Ajde lepa Maro ist zunächst ein Lied. Es handelt von einer jungen Frau, die zu verschiedenen Diensten an ihrem Herrn gerufen wird, aber jedes Mal ablehnt mit der Begründung, sie könne dem Kolo nicht fernbleiben.
Die gesungene Aufnahme (1), die meist zum Tanzen verwendet wird, enthält den folgenden Text:
Ajde, lepa Maro, gospodar te zove!
Ja ne mogu doći, kolo ostaviti.
Ajde, lepa Maro, gospodar je gladan!
Hleba u ormanu a nož na astalu.
Ajde, lepa Maro, gospodar je žedan!
Voda u bunaru, čaša na ormanu.
Ajde, lepa Maro, gospodar je bolan!
Ja ne mogu doći, kolo ostaviti.
Auf, schöne Mara, der Herrr ruft dich! – Ich kann nicht kommen und den Reigen (Kolo) verlassen.
Auf, schöne Mara, der Herr ist hungrig! – Brot ist im Schrank und das Messer auf dem Tisch.
Auf, schöne Mara, der Herr ist durstig! – Wasser ist im Brunnen und das Glas im Schrank.
Auf, schöne Mara, der Herr ist krank! – Ich kann nicht kommen und den Reigen verlassen.
So steht der Text auch in anderen Quellen. Die Liedersammlung von Vladimir Djordjević aus dem Jahre 1909 (2) enthält zwei weitere Strophen, die es in sich haben. Sie setzen den aufsässigen Tenor der vorangegangenen Strophen fort und treiben ihn auf die Spitze:
Ajde lepa Maro, gospodar je umro!
Ja ne mogu doći, kolo ostaviti.
Ajde lepa Maro, gospodara nose!
Neka njega nose, mene drugi prose.
Auf, schöne Mara, der Herr ist gestorben! – Ich kann nicht kommen und den Reigen verlassen.
Auf, schöne Mara, der Herr wird weggetragen! – Lasst ihn wegtragen, andere bitten mich [um meine Hand].
Der Tanz
Ron Houston (SFDH) (3) verdanken wir die Aufklärung über die Ursprünge des Tanzes. Nach neueren Informationen hat Dennis Boxell ihn im November 1964 auf dem Kolo Festival in San Francisco erstmals präsentiert. Boxell beruft sich auf „the France Marolt Students‘ Folklore Group of Ljubljana“ (Slowenien); deren Quelle ist unbekannt, möglicherweise, so vermutet Ron Houston, haben sie Ajde lepa Maro dem Buch der Janković-Schwestern „Narodne Igre“ Bd. 1 von 1934 entnommen. Das Lied dagegen erscheint bereits in einer Sammlung von 1909, s.o. (Tanzbeschreibung hier: Ajde lepa Maro nach Dennis Boxell).
Wahrscheinlicher ist aber u.E., dass Dennis Boxell im Rahmen seiner Zusammenarbeit mit Desa Djordjević den Tanz von ihr kennengelernt hat. (4) In ihrer Sammlung von 1988 ist Ajde lepa Maro enthalten. Interessant ist dabei, dass zu dem dort notierten Lied ebenfalls nur die ersten vier Strophen zitiert werden. (5) (Tanzbeschreibung hier: Ajde lepa Maro nach Desa Djordjević).
Youtube zeigt eine Reihe von Videos mit Ajde lepa Maro. Diese stammen allerdings fast alle aus der westlichen Folkloretanzszene.
Es sieht also so aus, als ob Ajde lepa Maro ein Produkt der Freizeittanzszene außerhalb Serbiens wäre. Andererseits sind da aber die frühen Funde in einer Liedersammlung 1909 und einer Sammlung von Tänzen 1934 – beide sind serbische Quellen. Dagegen hat der sehr aktive serbische Tanzlehrer Vladimir Tanasijević den Tanz nicht in seinem Programm von über 100 Tänzen. Auch andere serbische Tanzlehrer nicht, soweit uns bekannt ist. Und schließlich ist da die Überrepräsentation nichtserbischer Quellen auf Youtube. Außerdem enthält die erste Tanzbeschreibung von 1967 (Boxell) nicht das Federn im Sprunggelenk, das für den Stil serbischer Tänze so typisch ist. Soll man da nicht zu dem Schluss kommen, es handele sich auch hier um Folkloretanzfolklore? Nicht ganz …
(1) Folkraft Vinyl FK 1495, 7“ 45rpm (o.J.): „Folk Orchestra Beograd“, „Supervised and recorded in Jugoslavia by Dennis Boxell“.
Weitere, teils identische, teils abweichende Aufnahmen:
• Verlag Walter Kögler – SP 23 095 Vinyl 7“ 45rpm (o.J.): „Volksorchester Belgrad“, „Lizenzpressung der jugoslawischen Originalaufnahme von Folkraft Records (FK 1495)“.
• Vivace vacances CD V-407 (1989): „de Mooiste Muziek uit Joegoslavië“, Yugoslavian National Folkdance Orchestra ‚Sarajewo‘. All compositions/arrangements by B. Estacada. Wim Bosheck Musicproductions.
• Syncoop Folkraft CD 2905 (1998): „Anthology of Folklore Music Volume 5 – Serbia 2“ – identisch mit FK 1495.
• Fidula-Verlag – Fidula-CD 4475 (2003): „Mitmachtänze 3“, herausgegeben von Hannes und Michael Hepp (identisch mit FK 1495).
(2) Vladimir R. Djordjević: Zbirka odabranih pesama (Jagodina 1909), S. 15-16
(3) Society of Folk Dance Historians, Austin, Texas, Mitteilung per Mail 20.03.2024.
(4) Radboud Koop Mitt. per Mail 20.03.2024.
(5) Desa Djordjević: Narodne igre Šumadije i Pomoravlja, Zagreb/Beograd 1988, S. 150 f.
Zu unseren Recherchen über den serbischen Tanz Ajde lepa Maro und die dazugehörige Musik haben uns inzwischen ergänzende Informationen erreicht, die die Herkunft weiter aufklären. Sie stammen aus unserer Mailkorrespondenz mit Ron Houston (Texas) und Radboud Koop (Niederlande) vom 25. bis 29.03.2024.
Zu der Musikaufnahme auf Folkraft Vinyl FK 1495 (7“ 45rpm (o.J.): „Folk Orchestra Beograd“, „Supervised and recorded in Jugoslavia by Dennis Boxell“) schreibt Ron Houston, Rickey Holden und Dennis Boxell haben anlässlich einer Reise 1963 oder 1964 ins damalige Jugoslawien „KUD France Marolt“ (heute AFS, Akademska folklorna skupina, France Marolt) in Ljubljana besucht, wo sie Ajde lepa Maro als Teil eines Serbischen Medley sahen (herausgegeben auf Folkraft LP 19b2 mit Ajde lepa Maro, Marinino, Djurdjevka, Čačak, Šetnja – diese Aufnahme ist auch als „Serbische Suite“ bekannt). Diese Version war langsam, kurz und slowenisch gesungen und wurde daher für ungeeignet für den Freizeittanz in den USA gehalten.
Ron Houston vermutet, Rickey Holden und Dennis Boxell besorgten sich daraufhin eine passende serbische Aufnahme. Das war das übliche Vorgehen: das Nationale Folkloreensemble besuchen, Tänze auswählen und notieren, Musik aufnehmen oder für Folkraft lizenzieren und eventuell einen Lehrer finden, der die Tänze in den USA unterrichten würde, z.B. Atanas Kolarovski oder Csaba Palfi („visit the national folklore ensemble, select and describe dances, record or license music for Folkraft, and sometimes find a dancer to teach the dances in the US (e.g., Atanas Kolarovski, Csaba Palfi)“).
Radboud Koop ergänzt, dass eine neuere CD-Ausgabe der früheren Aufnahmen von Dennis Boxell „Serbian Folk Dance Classics FA-5“ mit Ajde lepa Maro das Orchester Dušan Radetić nennt; die Sängerinnen gehören dem Ensemble Kolo an.
Bei der Vivace vacances CD V-407 (1989), („de Mooiste Muziek uit Joegoslavië“, Yugoslavian National Folkdance Orchestra ‚Sarajewo‘. All compositions/arrangements by B. Estacada. Wim Bosheck Musicproductions) kam uns schon früher merkwürdig vor, dass hier ein serbischer Folkloretanz in Holland von einem Musiker mit spanischem Namen komponiert und arrangiert wurde. Radboud Koop hat herausgefunden, dass dies eine Aufnahme eines holländischen Orchesters namens „Ensemble Radostan“ unter der Leitung von Tim de Wijs ist. Der Name „Yugoslavian National Folkdance Orchestra ‚Sarajewo'“ ist ein Fantasiename; ein solches Orchester gibt es nicht. Auch der Name „B. Estacada“ bezeichnet, so vermutet R. Koop, keine existierende Person; es ist ihm zufolge nur ein Fantasiename, um Copyright-Ansprüche abzuwehren. („Estacada“ = Zaun, Palisade; „Bosheck“ = bos: Wald, heck: Hecke, Zaun; Bosheck > „B. Estacada“).
Diese Aufname wurde bereits vorher für den Seniorentanz herausgegeben auf der Schallplatte Nevofoon 15022 „Dansen voor Ouderen 1“, eine instrumentale Einspielung (nicht vokal).
Was den Tanz „Ajde lepa Maro“ betrifft, haben wir bereits erwähnt, dass Ron Houston aus verschiedenen Gründen überzeugt ist, dass Dennis Boxell Janković Bd. 1 (1934) konsultierte (Boxell beherrschte Serbokroatisch). Im übrigen bedienten sich, so R. Houston, alle KUDs der Bücher der Schwestern Janković. Letztlich führen alle Quellen von Ajde lepa Maro zurück zu Ljubica und Danica Janković. Es gibt keine ältere Tanzbeschreibung, aber ältere Lied-Dokumente. So kommt er zu dem Fazit: Der Tanz Ajde lepa Maro, wie er in den USA (und dann bei uns) getanzt wird, stammt von Rickey Holden und Dennis Boxell (Folkraft), dieser vom KUD France Marolt Ljubljana und dieser wiederum von L. und D. Janković.
R. Houston würde sich über zusätzliche Informationen sehr freuen, die eine frühere Quelle für den Tanz belegen. Wir danken ihm und Radboud Koop für die wertvollen Informationen.