Folkloretänzerinnen (und -tänzer!) kennen das: Da gibt es eine „Paiduschka“ – oder heißt die vielleicht „Paiduschko“? – in verschiedenen Ländern mit ähnlich klingenden Tanznamen, ähnlichen Schritten und Melodien. Obendrein taucht die eine (bulgarische, makedonische) Pajduškomelodie in rhythmisch veränderter Gestalt (und unter „Pseudonym“!) im Nachbarland auf. Wie sollen wir das verstehen? Lasst uns ein bisschen recherchieren …
Es fing an mit der Frage, ob denn die rumänische Paidușca anders getanzt wird als der bulgarische Pajduško?
Pajduško (bg., mak.)
Der bulgarische Pajduško horo (Пайдушко хоро) und der makedonische Pajduško oro (Пајдушко оро) mit seinen zahlreichen Melodien, aber einer immer gleichen Grundform (1) dürfte allgemein bekannt sein. Über ihn haben wir an anderer Stelle ausführlich geschrieben. Neben der Grundform sind im Freizeit-Folkloretanz (RIFD: Recreational International Folk Dancing) auch erweiterte Varianten – darunter neuere choreografische Werke – meist unter demselben Namen, oder fast: Pajduškata, manchmal mit Zusätzen wie „Strandžansko“, „Severnjaško“ u.ä., eingeführt worden (z.B. Yves Moreau 1998, B. Stanev 1998, ders. „Čestata“ 2001, Loneux 2005, Jaap Leegwater 2007). Welche davon „choreografiert“ und welche „authentisch“ sind, wollen wir hier nicht festlegen. Abgesehen von der Fragwürdigkeit des Konzepts der „Authentizität“ kommen Varianten mit unterschiedlichen Anzahlen von Takten auch in den einschlägigen Sammlungen vor (z.B. Ilieva, s.u.).
Etymologie
Allenthalben findet man für den Tanznamen die Erklärung, er bedeute „hinkend“. Wir haben versucht, das zu überprüfen bzw. genaueres über die Etymologie von „Pajduško/пайдушко“ herauszufinden.
Einen Eintrag „Пайдушко“ (oder ähnlich) finden wir in keinem der uns bekannten Internetwörterbücher (2). Die bulgarische Wikipedia hat einen Eintrag „Пайдушко хоро“ , jedoch ohne Etymologie, mit den knappen uns bekannten Informationen. (3)
Auch die guten alten gedruckten Wörterbücher (4) enthalten keine sachdienlichen Einträge zu Pajduško/Пайдушко.
In Najden Gerovs Wörterbuch der Bulgarischen Sprache von 1895 finden wir immerhin den Tanz: пайдушкa (Pajduška, sic!) – „eine Art Reigentanz (един вид игра хоро)“, ohne etymologische Herleitung, aber dafür zwei Einträge, die weiterführen: пайтак (pajtak) – Pferd mit enger Stellung der Hinterbeine, die geneneinander schlagen (vgl. Gaberov) und пайка (pajka) – Ente (watschelt!). Das Wörterbuch der Fremdwörter im Bulgarischen von Ivan Gaberov (1998) nennt ebenfalls пайтак – Pferd mit krummen Hinterbeinen, krummbeiniger Mensch.
Soviel bleibt jedenfalls festzuhalten: Der Tanzname geht möglicherweise zurück auf einen Ausdruck für einen uneleganten, unebenen Gang. (5) Dies ist besonders in dem Teil des Tanzes augenfällig, wo der rechte Fuß mehrmals auf „kurz“ vor dem linken nach links kreuzt und der linke auf „lang“ weiter nach links geht. Für das Hinken gibt es im Folkloretanz noch weitere Beispiele, so z.B. der serbische Krecavi ketuš, die bulgarische Kucata oder die moldauische Coragheasca.
Paidușca (rum.)
Wenn uns eine rumänische Paidușca auch nur selten unterkommt, müsssen wir doch mit Anca Giurchescu den Blick weiten auf die größere Gruppe der ungeraden („aksak“) Rhythmen (6). Oft liest man von einem bulgarischen Einfluss, der sich in diesen Rhythmen zeige, so auch bei Vasilescu (s.u.); Giurchescu drückt sich hier aber vorsichtiger aus, indem sie von „verwandten“ (related) „Gegenstücken“ (counterparts) spricht. Ihr zufolge können die im Balkan allgegenwärtigen Aksak-Rhythmen anscheinend auch aus einer älteren gemeinsamen Kulturschicht stammen. (7)
Die Autorin nennt drei ungerade Rhythmustypen in der rumänischen Tanzfolklore (neben weit über hundert geraden „rythmischen Formeln“): den Typ Rustem mit zwei ungleichen Schlägen (kurz-lang), den Typ Geampara mit drei (kurz-kurz-lang), und den Typ Șchioapa mit vier (kurz-kurz-kurz-lang). Die Paidușca zählt zusammen mit sehr vielen Varianten wie Rustemul, Mîndrele, Bugeacul, Murgulețul, Ghimpele usw. zum Typ Rustem.
Wir kennen eine Paidușca de la Stejaru in 6/8 aus der Dobrudscha aus Vasilescus Programm Nr. 9 und eine Paidușca aus Süd-Muntenien in 3/8 (♪ = 195 BPM) aus Loneux’ „Hai veniți la Joc 6“. Da sehen wir bereits eine Entwicklung weg von dem ungeraden 5/16-Rhythmus hin zu ternären (Dreier-) Strukturen, die A. Giurchescu beschreibt:
„An der Ungleichheit der zwei Elemente des ungeraden Rhythmus’ ändert sich beim 3/8- oder 6/8-Takt nichts: Hier ist das Verhältnis 1:2, während es beim 5/16-Takt 2:3 ist – es bleibt aber immer „kurz-lang“.
Lia Vasilescu fügt diesen Feststellungen eine weitere, sehr interessante Bemerkung hinzu. In der Einleitung zur Paidușca de la Stejaru bezieht sie sich auf regionale Besonderheiten, indem sie feststellt, dass dieser Rhythmustyp in Oltenien Rustemul heißt, in Muntenien Bugeacul und in der Dobrudscha Paidușca.
Die choreologischen Moleküle
Ob Rustemul, Mîndrele, Bugeacul oder Paidușca, die tänzerischen Grundelemente sind durchwegs zwei: 1. Schritt-Schritt und 2. Hüpf-Schritt, im Verhältnis kurz-lang, entweder verkettet: R-L, R-L, R-L, R-L, oder h-R, h-L, h-R, h-L oder kombiniert: h-R, L-R, h-L, R-L oder h-R, L-R, L-R, L-R u.ä. … (Wir erkennen darin u.a. den „kleinen“ und den „großen Schlüssel“ des Rustemul.) Varianten entstehen aus den Richtungen, in die die Schritte gesetzt werden und in die die Tänzer sich im Raum bewegen: nach vorn, zurück, in Tanzrichtung (re), gegen Tanzrichtung (li), am Platz usw.. Richtungswechsel kommen hinzu, sowie kürzere und längere Varianten. (9) Das gilt für alle hier erwähnten Pajduško-Verwandten.
Païdouska (gr.) / Παϊντούσκα (auch Baïdouska / Μπαϊντούσκα);
Aus Griechenland kennen wir kaum eine Handvoll Tänze dieses Namens, die sich übrigens nur geringfügig unterscheiden, z.B. in der Richtung der Raumbewegungen bei gleichen Schritten, denselben Figuren wie die des bulgarischen Pajduško, so die Païdouska von Kyriakos Chamalidis 1989 und die von Dimitris Barbaroussis 1989. Sie stehen im 5/16-Takt (2-3) wie der bulgarische Pajduško. K. Chamalidis beginnt mit Takt 5 und endet mit den Takten 1-4.
In Griechenland gibt es auch einen ähnlichen Baïduskino / Μπαϊντούσκινο in 7/16 (3-2-2) (10). Seine Herkunft wird mit „Anatolikí Romilía“, d.h. Thrakien, angegeben, ebenso wie bei der Baïdouska. Das ist insofern bedeutsam, als das griechische Thrakien erst nach 1920 griechisch wurde. Wir sehen: die Verwandtschaften der Tänze scheren sich nicht um heutige politische Grenzen.
Djurdjevka (srb.)
Aus Serbien können wir ein noch interessanteres Phänomen berichten. Eine bulgarische (und makedonische) Pajduško-Melodie begegnet uns in der Djurdjevka im 3/4- (oder 3/8-) Takt wieder. Unsere Überraschung wäre längst nicht so groß, wenn der Tanz „Pajduško“ genannt würde. Aber auch dann bliebe die rhythmische Verfremdung durch den gemächlichen Dreivierteltakt. Mehr noch: Mehrere Aufnahmen aus dem RIFD kommen in einem ziemlich flotten 2/4-Takt daher.
Hörprobe: Pajduško (5/8) – Gega GD 106, Hristo Radanov & Orch.
Hörprobe: Djurdjevka (3/4) – Folkraft CD 2904 (o. Orch.)
Hörprobe: Djurdjevka (2/4) – XOPO X-315 (o. Orch.)
Wenn also bestimmte Melodien und Tänze in unterschiedlichem Gewand in verschiedenen Regionen und kulturellen Milieus angetroffen werden, ergibt sich daraus nicht automatisch, dass sie „gewandert“ sind, von „A“ nach „B“. Wir können nur feststellen, dass eine Tanzfamilie wie Pajduško / Paidușca / Païdouska – einschließlich ihrer näheren und ferneren Verwandten unter anderen Namen – ein „pan-balkanisches“ Phänomen ist, ein sehr buntes übrigens, wie es diesen europäischen Raum kennzeichnet.
(1) Tanzbeschreibung: https://herwigmilde.de/TB_pdf/Pajdusko.pdf]
(2) Weder im Bulgarischen Wörterbuch Речник на българския език (http://ibl.bas.bg/rbe/), noch im Bulgarischen etymologischen Wörterbuch Български етимологичен речник (https://ibl.bas.bg/en/?s=пайдушко), noch im Digitalen Wörterbuch der makedonischen Sprache Дигиталниот речник на македонскиот јазик (http://drmj.eu/), noch im bulgarischen Slovored (slovored.com).
(3) „Пайдушко хоро (на македонска литературна норма: Пајдушко оро; на гръцки: Μπαϊντούσκα, Байдуска) е българско народно хоро в ритъм 5/8. Метрумът е двуделен, като съществуват различни местни варианти. Освен в България е разпространено и в Северна Македония, както и в съседните на България части на Румъния и Гърция.“ (https://bg.wikipedia.org/wiki/Пайдушко_хоро)
(4) Endler/Walter: Wörterbuch Bulgarisch-Deutsch VEB Verlag Enzyklopädie (Leipzig 1989) und PONS Neues Universalwörterbuch Bulgarisch-Deutsch (Klett 2008)
(5) Wir behaupten damit keine unmittelbare etymologische Herleitung. Andere Theorien beziehen sich auf die Bedeutung „wiederkommen“, „umkehren“.
(6) Giurchescu, Anca, Sunni Bloland: Romanian Traditional Dance, a contextual and structural approach (Bukarest 1992), S. 213 ff
(7) „… patterns common to the Balkans which seem to have originated from an old, common cultural stratum or they may have been assimilated into the Romanian dance culture.“ a.a.O. S. 110
(8) „Sometimes the musicians convert the aksak rhythms into a simple ternary or, more often, into a binary.“ a.a.O. S. 111
(9) cf. Anna Ilieva: Narodni tanci ot Srednogorieto (Sofia, 1978). Die Autorin beschreibt 11 verschiedene Varianten des Pajduško allein aus Srednogorie mit 6 bis 12 Takten.
(10) https://www.youtube.com/results?search_query=Μπαϊντούσκα