Folkloretanz in Deutschland und in den USA

Ist Folkloretanz kein Kulturphänomen?
Eine Bestandsaufnahme

Artikel von 2016, aktualisiert 2021.

Vorweg etwas Statistik. Haide!-INFO, der Folkloretanzterminkalender für den Südwesten, d.h. Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz mit angrenzenden Randbereichen einschließlich Elsaß und Deutschschweiz, hat in vier Jahren (2012 bis 2015) 781 Folkloretanz-Wochenendveranstaltungen oder mehrtägige Kurse aufgelistet. Geht man von einer durchschnittlichen Belegung von 15 bis 20 Teilnehmern aus, entspricht dies in der Summe ca. 10.000 bis 15.000 Teilnahmen – oder pro Jahr fast 200 Veranstaltungen mit insgesamt 3.000 bis 4.000 Teilnahmen (nicht Teilnehmern!). Berücksichtigt man ferner, daß der Südwesten im Bereich Folkloretanz überdurchschnittlich aktiv ist, kann man vorsichtig hochgerechnet auf ganz Deutschland mindestens das Vierfache, also 12.000 bis 16.000 Teilnahmen pro Jahr annehmen, das entspricht zurückhaltend geschätzten 4.000 bis 5.000 Aktiven, wenn man von etwa drei Teilnahmen pro Tänzer und Jahr ausgeht. Mutiger geschätzt sind es vielleicht bis zu zehntausend Folkloretänzer in Deutschland – eine quantité négligeable, eine vernachlässigbare Größe?

Wenn wir von Folklore reden, meinen wir nicht nur textförmige Überlieferungen (Märchen, Sagen, Lieder), wie die deutsche Volkskunde den Begriff einschränkend gebraucht, sondern – dem angelsächsischen Wortgebrauch entsprechend – alle kulturellen Äußerungen einer Ethnie, also auch Musik, Tanz, Kunsthandwerk, Bräuche, Riten, Mythen usw. Und Folkloretanz bedeutet zweierlei, es ist wichtig, dies zu unterscheiden: einerseits die Tanzpraxis in den Ursprungsländern, z.B. bulgarische Tänze in Bulgarien, und andererseits Folkloretanz außerhalb der Ursprungsländer, in der sogenannten „Folkloretanzszene”, also z.B. bulgarische Tänze in Westeuropa, Nordamerika, Australien, Japan.

Die Folkloretänze Südosteuropas weisen – noch heute nachweisbar – vielfältige Bezüge zur Alltags- und Festkultur dieser Völker, ihrer Geschichte, ihren teils uralten Überlieferungen, ihren Arbeitsprozessen und ihren Sozialstrukturen auf; Musik, Liedtexte, Tanzbewegungen und ihr soziökonomisches Milieu sind eng miteinander verwoben. Wer sich ernsthaft damit beschäftigt, schaut sich hoffnungsfroh um nach wissenschaftlichen Publikationen, Informationsquellen und Institutionen, die ihm vielleicht bei seinen zahlreichen Fragen weiterhelfen können.

Institutionen 

In Deutschland gibt es eine ganze Reihe einschlägiger Institutionen, die man für zuständig halten könnte für Fragen um den Folkloretanz.

Der Deutsche Bundesverband Tanz (DBT) „ist der Dachverband für den Amateur- und Breitentanz in Deutschland. Er repräsentiert die ganze Spannbreite des Phänomens Tanz: Von den Tänzen der Völker, über historische Tänze bis hin zu Modernem Tanz, Jazztanz, HipHop und Zeitgenössischem Tanz.” (DBT Selbstdarstellung) Kursveranstaltungen finden bei den angeschlossenen Landesarbeitsgemeinschaften (LAG, s.u.) statt; Fachtagungen und Publikationen des DBT drehen sich schwerpunktmäßig um Tanzpädagogik, Folkloretanz tritt dort nur am Rande in Erscheinung und eine vertiefende kulturwissenschaftliche Auseinandersetzung mit ihm findet nicht statt.

Die Landesarbeitsgemeinschaften Tanz sind in allen Bundesländern angesiedelt außer Sachsen-Anhalt; sie halten ausschließlich tanzpraktische und -didaktische Angebote einschließlich Tanzleiterausbildung bereit und decken alle Sparten ab – Folkloretanz ist auch bei ihnen nur ein kleinerer Teilbereich.

Die Folkwang Universität der Künste in Essen, Duisburg, Bochum und Dortmund führt Tanz als einen von 7 Studiengängen. Allerdings bietet sie keine Lehrangebote im SS 2016. Die inzwischen weithin bekannte bulgarische Tanzlehrerin Gergana Panova-Tekath ist zwar Mitglied der Lehrenden, bietet aber im SS 2016 an der FUK nichts an.

Die Akademie Remscheid für Kulturelle Bildung hat eine Abteilung Tanz; diese widmet sich ausschließlich der Tanzpädagogik sowie dem Bühnentanz; Folkloretanz kommt nicht vor.

Das Deutsche Tanzarchiv Köln widmet sich der Bewahrung von Zeugnissen der Tanzkunst, deren wissenschaftlicher Aufarbeitung und Präsentation – Tanzfolklore gehört nicht dazu.

Das Deutsche Tanzarchiv Leipzig gibt es noch. Die Uni Leipzig schickte sich 1992 an, das Tanzarchiv aufzulösen und den größten Teil des Bestandes mangels Interesse (!) verschwinden zu lassen. Interventionen hochrangiger Kulturinstitutionen und Persönlichkeiten, darunter UNESCO und CID (1), hatten anscheinend Erfolg.

Die Akademie der Künste Berlin gliedert sich in sechs Sektionen, davon eine „Darstellende Kunst”, in der Tanz nur als Bühnentanz (Ballett) in Erscheinung tritt.

Die Hochschule für Musik und Tanz Köln behandelt Tanz nur im Sinne von „zeitgenössischem Tanz”, womit künstlerischer Bühnentanz gemeint ist. Volkstanz ist von diesem Standpunkt aus anscheinend kein zeitgenössisches Phänomen; nicht, daß es einen zeitgenössischen Volkstanz nicht gäbe – er wird schlicht nicht gesehen, d.h. nicht wahrgenommen oder ignoriert.

Zahlreiche „Tanzakademien” in Deutschland, eigentlich private Ballettschulen, bieten ausschließlich Ballett und verwandte Bühnentanzsparten an.

Musikethnologie bzw. Ethnomusikologie ist in Deutschland an drei Universitäten institutionell etabliert: im Institut für Europäische Musikethnologie der Humanwissenschaftlichen Fakultät an der Universität Köln, als Schwerpunkt Kulturelle Musikwissenschaft – Musikethnologie des Musikwissenschaftlichen Seminars der Universität Göttingen und durch den Lehrstuhl für Ethnomusikologie am Institut für Musikforschung der Universität Würzburg. Deren Forschungsschwerpunkte und Publikationen lassen allerdings keine spezielle Auseinandersetzung mit Folkloretänzen Südosteuropas erkennen.

Ein Blick über die Grenze nach Österreich liefert das gleiche Bild.
An der Kunst-Uni Graz gibt es Ethnomusikologie, die „… beschäftigt sich mit Musik-, Tanz- und Theaterperformances der Welt in ihren sozialen und kulturellen Kontexten.”

Das österreichische Webportal Dancilla ist lückenhaft; unter „Folkloretänze” werden neun (!) Tänze aufgelistet, unter „Bücher” stehen 175 Titel, die fast ausschließlich den deutschen und alpenländischen Volkstanz behandeln.

Publikationen 

Auf der Suche nach Publikationen über Folkloretanz in Südosteuropa findet man z.B. beim Deutschen Tanzarchiv Köln eine Bibliographie deutschsprachiger Hochschulschriften zur Tanzwissenschaft / Tanzforschung. Sie enthält nichts über Tanzfolklore anderer Länder, jedoch Titel über Bühnentanz, Tanzpädagogik, Historischen Tanz, vereinzelt auch deutschen Volkstanz. Auffällig ist, daß Dissertationen und Habilitationsschriften über Tanz bei der Sportwissenschaft angesiedelt sind, nicht bei der Ethnologie (Sport! Ist auch hier der Tanz nichts weiter als Körperbewegung zu rhythmischer Musik? Ohne jede Bedeutungsdimension?). Kein Wunder, wenn es sich um Modernen Tanz und Ballett handelt, obwohl doch auch diese Sparten sich ihrer kulturellen, sozialen und sogar politischen Bezüge bewußt werden und daher eher an Kunstakademien oder -Universitäten (Folkwang) angesiedelt sein sollten. Im Gegensatz hierzu war Mirjana Laušević, Autorin von „Balkan Fascination: Creating an Alternative Music Culture in America” als Professorin der Ethnomusikologie an der University of Minnesota, Minneapolis zu Hause – um nur ein Beispiel zu nennen. In dieselbe Richtung deutet eine Liste englischsprachiger Bücher der Folk Dance Federation of California-South allein über Folkloretanz: Sie ist um vieles umfangreicher als die breitgefächerte Tanz-Bibliographie des Tanzarchivs Köln. Auf die Verhältnisse in den USA gehen wir nachfolgend genauer ein.

Der Begriff Ethnochoreologie (Wissenschaft vom Folkloretanz) existiert als Eintrag in der englischen und in der französischen Wikipedia, in der deutschen nicht. Im Index of dance articles der englischen Wikipedia gibt es inzwischen auch vereinzelt Einträge, die sich auf Folkloretanz beziehen.

Im dt. Wikipedia-Portal Volkskunde fehlt das Stichwort Volkstanz/Folkloretanz völlig.

Der dt. Wikipedia-Eintrag Volkstanz erwähnt zwar Volkstanzveranstaltungen wie den Kathreintanz und Bal Folk, ignoriert aber die „Balkan”-Tanzbewegung völlig. Angesichts der Fülle an Tanztypen in Rumänien, Bulgarien, Makedonien und Griechenland ist die dort angeführte Zahl einschlägiger Tanz-Artikel geradezu lächerlich: zwei griechische Tänze: „Chasaposervikos”, „Chasapiko”, vier bulgarische Tänze: Eleno mome, Gankino, Pravo Horo, „Ratschenitza” (sic!), ein rumänischer Tanz: „Hora“ (2), makedonische Tänze: null.

Der dt. Wikipedia-Eintrag Folklore erwähnt den Folkloretanz nur am Rande.

Zwei Lichtblicke gibt es dennoch in der deutschen ethnochoreologischen Finsternis. Das ist zum einen die zweibändige Arbeit der oben erwähnten Gergana Panova-Tekath „Tanz nach der Wende”, eine Dissertation, die immerhin in einem kommunikations- und kulturwissenschaftlichen, ethnologischen und interkulturell-didaktischen Umfeld entstand. Das zweite Werk ist Michel Hepps Dissertation „Genese und Genealogie westeurasischer Kettentänze”, über die wir an anderer Stelle bereits berichtet haben.

Recreational International Folk Dancing (RIFD) in USA

Warum werfen wir jetzt einen Blick auf die USA? Die Antwort ist so banal wie ernüchternd: Wer ernsthaft sucht nach vertiefender Aufklärung über Wesen und Bezüge der Folkloretänze in ihren Heimatländern und im Exil in der Folkloretanzszene, wird im deutschsprachigen Raum scheitern, in den USA dagegen kommt ihm eine Fülle an Material entgegen, vom Sachbuch über umfangreiche Internetseiten bis hin zu Tausenden von Tanzbeschreibungen. Ein paar Beispiele nur geben einen Eindruck hiervon:

Publikationen
über Folklore in SO-Europa:

• Buchanan, Donna: The Bulgarian Folk Orchestra: Cultural Performance, Symbol, and the Construction of National Identity in Socialist Bulgaria (2005)

• Buchanan, Donna: Performing Democracy – Bulgarian Music and Musicians in Transition (2005)

• Giurchescu, Anna & Sunni Bloland: Romanian Traditional Dance: A Contextual and Structural Approach (1995)

• Rice, Timothy: May it Fill Your Soul – Experiencing Bulgarian Music (1994)

• Rice, Timothy: Music in Bulgaria (2004)

• Shay, Anthony: Choreographic Politics (2002)

• Wayland Barber, Elizabeth: The Dancing Goddesses. Folklore, Archaeology, and the Origins of European Dance (2013)

über Folkloretanz in USA:

• Houston, Ron: „How Folk Dancing Grew” – Artikel auf sfdh.org (The Society of Folk Dance Historians) über die Geschichte des Folkloretanzes („recreational international folk dance“) in den USA vom 19. Jh. bis heute

• Houston, Ron: What is Folk Dance? – Artikel auf sfdh.org über Folkloretanz als Freizeitbeschäftigung in allen seinen Ausprägungen bis hin zur Frage: „What in the world are you doing?”

• Laušević, Mirjana: Balkan Fascination: Creating an Alternative Music Culture in America (2015)

Shay, Anthony: Dancing Across Borders: The American Fascination with Exotic Dance Forms (2008)

Wie man sieht, ist in den USA nicht nur Folkloretanz und -Musik in den Ursprungsländern Gegenstand von Dokumentation und Forschung, sondern auch der Freizeit-Folkloretanz (RIFD); dieser ist oder war allerdings in den USA ein gesellschaftliches Massenphänomen (3), was man von der deutschen Szene – auch bei vielleicht 10.000 Tänzern – nicht behaupten kann.

Institutionen

Center for Traditional Music and Dance (CTMD), New York 

Folk Arts Center of New England 

EEFC East European Folklife Center

SFDH – The Society of Folk Dance Historians 

• The National Folk Organization NFO (u.a. zehn Links zu Sammlungen von Tanzbeschreibungen)

• The Northwest Folk Dancers Inc 

The Tamburitzans (früher Duquesne University Tamburitzans Institute of Folk Arts – DUTIFA), DUTIFA auf Wikipedia 

FDFC Folk Dance Federation of California – North

FDFC Folk Dance Federation of California – South 

jährliche Folk Dance Camps
mit Dokumentationen („syllabi”):

FDFC Folk Dance Federation of California – South

• The Stockton Folk Dance Camp: lückenlose Dokumentation seit 1948!

• The Texas International Folk Dancers

World Music and Dance Camp, Iroquois Springs, Rock Hill, NY

• Mendocino

• Mainewoods

• New Mexico August Global Dance Camp, Socorro, NM

• Pinewoods Camp

Die SFDH Encyclopedia listet 95 (!) jährliche Folklorecamps in den USA auf.

Internetportale 
(hier nur diejenigen mit vielfältigen Unterabteilungen und reichhaltigem Material)

• phantomranch (Dick Oakes) – umgezogen zur Folk Dance Federation of California – South

• The Society of Folk Dance Historians (SFDH) mit einer sehr umfangreichen „Encyclopedia

FDFC Folk Dance Federation of California – North

FDFC Folk Dance Federation of California – South

• The Texas International Folk Dancers: 1.400 syllabi von 1954 bis heute

Beeindruckend ist nicht nur die schiere Menge an Informationsquellen, Dokumenten und Publikationen – beim näheren Hinsehen zeigt sich auch eine fachliche und methodische Kompetenz bei den Mitarbeitern und Autoren, von denen man hierzulande kaum zu träumen wagt. Das gleiche gilt für die sachliche und finanzielle Ausstattung, auf die nordamerikanische Wissenschaftler zurückgreifen konnten, wenn sie den Folkloretanz bearbeiten wollten. In den sechziger und siebziger Jahren hatten eine ganze Reihe von Feldforschern nicht nur gutes Aufnahmegerät, sondern auch Stipendien im Gepäck, als sie in die südosteuropäischen Länder aufbrachen. (4) Wie kläglich ist im Gegensatz dazu das einzige ernstzunehmende Freizeittanz-Organ in Deutschland, die Zeitschrift „Tanzen“, Verbandsorgan des DBT (Deutscher Bundesverband Tanz), untergegangen, nachdem erst der Kögler-Verlag (aus finanziellen Gründen), dann Prof. Klaus Kramer als Chefredakteur (aus Altersgründen) sich von der Zeitschrift zurückgezogen haben. Gab es in Deutschland keine kompetente Nachfolge für Klaus Kramer? Wieso nicht?

Im Unterschied zu Deutschland hat der Universitätsbetrieb in den USA – und mit ihm die Wissenschaftler – kein Problem damit, sich auch der Volkskunst zuzuwenden; nicht konservierend, sondern unter Betrachtung kultureller Kontexte und historischer sowie aktueller Rezeptionsmechanismen. Wissenschaftliche Sorgfalt, Ernsthaftigkeit und Gründlichkeit werden dort ohne Dünkel unterschiedslos auch auf den Bereich Folkloretanz angewandt, während er in Deutschland einer Handvoll Dilettanten – dazu zähle auch ich – überlassen bleibt, die das Feld meist eher schlecht als recht beackern, wenn auch mit viel gutem Willen, aber der kann Kompetenz leider nicht ersetzen.

Und warum ist das so?

Wie kommt es, daß Folkloretanz anscheinend in Deutschland „kein Thema”, in den USA dagegen ein ernstgenommener Gegenstand von gründlicher Dokumentation, wissenschaftlicher Forschung und seriöser Publikation ist?

Für die USA stellt Anthony Shay (5) fest, daß erstens in den USA das exotische Tanzen mit dem Ziel, „jemand anderes zu werden” eine beträchtliche gesellschaftliche Dimension erreicht hat und zweitens dieses Phänomen schon deswegen verdient hat, daß die Wissenschaften sich damit befassen. Wie wir sehen, ist das der Fall.

Meine Kollegin Jutta Weber-Karn, Ethnologin, nennt folgende Gründe für das Desinteresse der deutschen Wissenschaft:

„In Deutschland hatte das Fach Volkskunde nach 1945 ein schlechtes, weil belastetes Ansehen – und der aus den gleichen Gründen unbeliebte Volkstanz fand, außerhalb von konservierenden Traditionsvereinen, praktisch nicht mehr statt. Einen Imagewandel durchlief die Volkskunde ab den 1970er Jahren durch die Verbindung mit Kulturanthropologie, Soziologie und Soziopsychologie nach amerikanischem Vorbild. Während aber in den USA volkskundlich-historisches Basiswissen in der universitären Lehre durchaus seinen Platz hatte, beobachtete man hierzulande – je nach Institut – eine Reduzierung der Vermittlung dieser Grundkenntnisse bis hin zur deutlichen Abkehr davon und der ausschließlichen Fokussierung auf moderne Kulturphänomene ohne tiefergehende historische Bezüge. Diese wurden entsprechend auch nicht gelehrt; die Beschäftigung damit blieb Gruppen und regionalen Institutionen vorbehalten, die sich um Dokumentation und Erhalt lokaler Traditionen bemühten. Mittlerweile rücken diese im relativ neuen Studiengang der Ethnomusikologie wieder etwas mehr in den Fokus.
Der Volkstanz befindet sich dennoch kaum im wissenschaftlichen Blickfeld; und auch sein Wiedererstarken im Rahmen des Folkrevivals der 1970er Jahre wie auch das nachhaltige „Herüberschwappen“ der rekreativen Folkloretanzbewegung aus den USA nach Westeuropa haben daran bis heute nichts geändert.”

Ist dies eine befriedigende Erklärung dafür, daß der Folkloretanz als Kulturphänomen mit seinen vielfachen Bezügen zu Geschichte und Vorgeschichte, Mythos und Ritual, Alltags- und Festkultur, Musik- und Gesangspraxis, Gesellschaft und Politik von den zuständigen Wissenschaften in Deutschland schlichtweg ignoriert wird? Nein, befriedigend nicht.


(1) CID: Conseil International de la Danse – UNESCO

(2) Von „dem“ rumänischen Tanz „Hora“ kann eigentlich nur jemand schreiben, der sich in der Materie nicht auskennt. Hore (Sg. horă) sind in Rumänien Hunderte, wenn nicht gar Tausende, von Tänzen, die in Handfassung im offenen Kreis getanzt werden, horă stellt demnach einen Oberbegriff dar, der diese Kreistänze unterscheidet von anderen Tanztypen wie brâulsârbabătutărustemulgeampara

(3) Nicht nur quantitativ, auch qualitativ war (und ist noch) das amerikanische RIFD weitaus stärker ausgeprägt. Anthony Shay spricht von einem partiellen Identitätswechsel bei den Aktiven – etwa vergleichbar mit den Teilnehmern der Mittelaltermärkte und der Indianerclubs bei uns.

(4) Stefan Kotansky, Yves Moreau, Dick Crum, Anthony Shay, Sunni Bloland, Elsie Ivancich Dunin, Michael Ginsburg, Joe Graziosi u.a.
Mit umfangreichen Sammlungen an Tänzen kamen sie zurück und lehrten an Universitäten und Camps in den USA, manche von ihnen auch in Deutschland (Stefan Kotansky, Michael Ginsburg, Yves Moreau).

(5) „[…] I will suggest that this assuming the identity of the Other, to whatever degree, is an almost uniquely American preoccupation. This is not to say that individuals in other societies do not find an interest in the cultural production of other cultures. I could name several. However, in the U.S., the sheer number of individuals involved in various exotic dance activities that invite people to become someone else requires scholarly attention.” Anthony Shay: Dancing Across Borders (2008) S. 35