Lume lume – ein Begräbnistanz?

Die Musik zu dem Tanz „Lume lume“, vorgestellt von Stephen Kotansky im Jahre 2003, fällt aus dem Rahmen unserer traditionellen Folkloretanzmusiken. Der Tanz selbst mit seinen gemächlichen Schritten würde nicht weiter auffallen; der Sound der rumänischen „Fanfare Ciocîrlia” in Kombination mit einem ungenannten Sänger und den hellen Frauenstimmen des bulgarischen Chors „Angelite” läßt dagegen aufhorchen (1). Das Lied ist durch Maria Tănases legendäre LPs schon seit etlichen Jahrzehnten bekannt. Bei ihr klingt es allerdings nicht so kraftvoll wie mit der „Fanfare Ciocîrlia” und den „Angelite”, wenn auch durchaus leidenschaftlich.

Auf Youtube findet man einige neue, moderne Einspielungen junger Gruppen mit Schlagzeug, Keyboard usw. – ein Zeichen für die anhaltende Popularität des Liedes. Die meisten Aufnahmen in traditioneller Manier sind Coverversionen von Maria Tănases berühmter Einspielung (2). Eine schöne Aufnahme liefert Nicoleta Sava 2010 mit einem ungenannten kleinen Orchester aus Țambal, Geige, Gitarre, Trompete, Klarinette und Akkordeon. Der Charme dieser Aufnahme rührt daher, daß die Sängerin damals noch kein Star war, ihre jungen Musiker auf jeden Showeffekt verzichteten und den ruhigen 4-3er Rhythmus sauber und gleichmäßig fließend spielten. (3)

Der Tanz stieß auf wohlwollende Aufnahme. … Bis ein Tänzer mit guten Kontakten nach Rumänien uns mitteilte, „Lume lume” sei ein Begräbnislied, dazu tanze dort kein Mensch. Stephen Kotansky berichtete dazu, er habe den Tanz von Rumäninnen in Suceava und von Leonte Socaciu gelernt (4). Zu welcher Musik? Sicher nicht zu der, die er 2003 präsentierte: „Fanfare Ciocîrlia” mit „Angelite”, eine rumänische Blaskapelle mit einem bulgarischen Frauenchor – das kann man allenfalls als experimentelles folkloristisches Arrangement durchgehen lassen, das jedoch mit traditioneller Volksmusik nur noch wenig zu tun hat. Ob man das begrüßt, ist eine Frage des Standpunkts.

Stephen Kotansky präsentierte damals den Tanz mit der Anmerkung „auch Hora mare din Bucovina”. Eine solche Hora mare wird wohl die Begleitmusik geliefert haben zu dem, was er seinerzeit in Rumänien lernte. Wir wissen dennoch nicht, ob dies Lume lume war, oder etwa eine völlig andere Musik mit demselben Rhythmus.

Weiter stellt sich die Frage: Ist oder war es überhaupt der Brauch, auf Begräbnissen zu tanzen? Und wenn ja: wo?

Zu Bulgarien sind bei einschlägigen Autoren wie Mercia MacDermott (5) und Krasimir Petrov (6) keinerlei Bestätigung dafür zu finden, daß bei Begräbnis- und Trauerbräuchen getanzt wurde, obwohl MacDermott detailliert über die Trauerbräuche berichtet.

Zumindest aber sind Tänze zum allgemeinen Gedächtnis an Verstorbene und zu ihren Ehren in bulgarischen Dörfern noch heute lebendig. So wird z.B. für Sofronievo in Nordbulgarien, Kreis Vraca, berichtet, daß man am Ostermontag Nachmittag einen speziellen Ostertanz, den Ora paštuluj zu einer besonderen Melodie tanzt, um der Verstorbenen des vergangenen Jahres zu gedenken. Dabei kommen ostertypische Requisiten wie rotgefärbte Eier und Osterbrot (kozunaci) zum Einsatz; der Anlaß wird ausdrücklich als fröhlich beschrieben. (7) Auch zu Allerseelen (Arhangelova Zadušnica, in der Orthodoxie am Samstag vor Michaelstag) gibt es in Bulgarien solche Gedächtnistänze.

Für Deutschland findet sich kein Beleg für Tänze bei Traueranlässen. Berichtet werden zwar viele Einzelheiten zu Bräuchen rund um Tod und Begräbnis, aber von Tanz ist nirgends die Rede (8). Das sollte nicht wundern, da in Deutschland der Volkstanz durch Obrigkeit und Kirche besonders rigoros bekämpft wurde. Joseph Krafeld: „In dieser Zeit nach den Bauernkriegen und insbesondere nach der Stabilisierung der politischen Verhältnisse seit 1555 [Augsburger Religionsfrieden] erfolgte […] eine ungeheure Häufung von Verboten gegen das Singen und Tanzen.” (9)

Griechenland scheint ein Sonderfall zu sein. Man kennt dort viele Trauertänze – ob sie aber auch zum Anlaß des Todesfalls im Familienkreis praktiziert werden, konnten wir bis jetzt nicht ermitteln.

Dagegen findet sich für Rumänien ein sehr interessanter Beleg: Anca Giurchescu schreibt im Kapitel über den Tanz in seinem sozialen Kontext (10) neben den anderen Anlässen im Lebenslauf ausführlich auch vom Tanzen bei Todes- und Traueranlässen. So werden während der Abschiedsphase, solange die Leiche sich noch im Haus befindet, Tänze der Totenwache getanzt; in der folgenden Periode der Trauer sowie der des Eingangs ins Jenseits gibt es sowohl spezifische, rituelle Tänze als auch solche aus dem allgemeinen Repertoire.

Bei A. Giurchescu finden wir schließlich einen kleinen Hinweis auf die Tanzpraxis im Zusammenhang mit Trauerritualen, der uns wieder hinführt zu unserem Tanz Lume lume / Hora mare din Bucovina. Sie schreibt, daß am Ende der Trauerzeit ein Brîu oder eine Hora nach einem besonderen Ritual getanzt wird, bei dem dreimal auf ein weißes Tuch gestampft wird. (11) Dieses dreimalige Stampfen enthält unser Lume lume in seinem ersten Teil im vierten und achten Takt (12).

Das könnte darauf hinweisen, daß diese Form der Hora mare din Bucovina tatsächlich Elemente eines überlieferten Tanzes zum Ende der Trauerzeit enthält. Ob dieser auch traditionell in Verbindung mit dem Lied „Lume lume“ stand, erscheint allerdings wenig wahrscheinlich; schon gar nicht mit der von Stephen Kotansky ausgewählten rumänisch-bulgarischen Musikfassung von 2001. 


(1) CD „Iag Bari“, Piranha PIR1577, https://www.youtube.com/watch?v=oERWXdYPNE0

(2) https://www.youtube.com/watch?v=79QVepeBrWA

(3) Nicoleta Sava – Lume, lume (2010): https://www.youtube.com/watch?v=rOheevZGx80

(4) Artikel Lume Lume auf tanzrichtung.eu.
Tanzbeschreibung: Lume Lume auf herwigmilde.de

(5) MacDermott, Mercia: Bulgarian Folk Customs. Jessica Kingsley Publishers London & Philadelphia 1998

(6) Petrov, Krasimir: Bâlgarski Narodni Tanci, 5 Bände, Sofia und Varna 1986-2004

(7) „На втория ден от Христовото Воскресение /винаги понеделник следобед/, в Софрониево се играе Великденско хоро „Ора пащулуй” /мелодията на хорото е характерна за селото/. Играе се всяка година, цяло село излиза и на него се раздават вино, яйца и козунаци – помен за починалите през последната година. В късния следобед засвирва духова музика и хората се събират на мегдана, за да се веселят и почетат мъртвите.” https://kartanavremeto-vratsa.org/story/1558/133?fbclid=IwAR2GrlNc2QXKziDXKVWWNORNt9my2ueNwgo6asK2SL3w5g3Pw3YLcr0zhoQ

(8) z.B.: https://www.brauchwiki.de/Beerdigungsriten/#cmtoc_anchor_id_4

(9) Krafeld, Joseph: Wir tanzen nicht nach eurer Pfeife – Zur Sozialgeschichte von Volkstanz und Volkstanzpflege in Deutschland, Bremen 1985, S. 38); siehe hierzu auch den Artikel Wo sind unsere Reigen geblieben? in diesem Internetmagazin.

(10) Giurchescu, A., Bloland, S. – Romanian Traditional Dance (1992) ch. I-2: Dance in Its Social Context, S. 35-36

(11) „The ritual dance slobozirea jocului (releasing dance) or desjelit (cease to mourn), also performed in Banat and Oltenia, mark both the end of the soul’s journey and its integration into the great family of ancestors in the world beyond. This in turn signals the cessation of mourning and the reintegration of mourners into the normal social life of the community. The person who wishes to end mourning must dance either a Brîu or Hora according to a special ritual. This involves stepping three times in succession on a white handkerchief placed on the floor by a woman who has no deceased in her immediate family. This action has the function of purification and separation.” a.a.O. S. 36

(12) Siehe Tanzbeschreibung