Syrto – Altes und Neues

Der Insel-Syrto wird manchmal Issos genannt oder Nisiotikos. „Nisiotikos“ heißt einfach „vom Meer her“. Dimotika ist eine Form der Musik und Nisiotika ist auch eine leichte Insel-Musik. Sie kommt von den Ägäischen Inseln. Die Schritte, die wir getanzt haben, mit einer festen Form, sind meine Zusammenfassung, aber alle Elemente habe ich bei Einheimischen gesehen und getanzt, aber nicht in dieser Form: Acht – Zwei – rein – raus usw.

Wie gesagt, die ausgefallenen Figuren tanzt nur der erste Tänzer und vielleicht zieht er den zweiten mit und macht ein paar Stampfschritte, aber nicht sehr oft. Das kommt in einem Tanz von zehn Minuten vielleicht höchstens dreimal oder zweimal vor. Ich finde es sehr schön, daß der Tanz von minimalen bis zu großen Bewegungen gehen kann. Innerhalb der minimalen Bewegung ist alles enthalten – das finde ich toll, als Tänzer. Ich liebe das, daß diese Bewegung weiterlebt, ob ich sie ausführe oder nicht. Dadurch, daß wir sie schon gemacht haben, weiß jeder, sie ist da. Wenn man auf einmal so tanzt … ist alles noch da, man muß es sich nur vorstellen. Oft finde ich, die minimale Bewegung ist sogar stärker, als wenn man sie ganz stark macht. Ein Beispiel von den Schopen: ich habe bei einer schopischen Gruppe einen Stampf gesehen – der war der lauteste Stampf, den ich mir vorstellen könnte, aber sie haben den Boden nicht getroffen … Kennt ihr das bei schopischen Tänzen, wo sie so etwas machen: … „hi – ha!“ … und nicht den Boden berühren, aber man hört es meilenweit, aber es war überhaupt nicht da …

Zurück zur ägäischen Insel: Hier haben wir wieder moderne Musik. Der Sänger Jannis Pariós kam von den Inseln und wollte aus Volksliedern Popmusik machen. In dieser Weise hat er zwei Platten gemacht, mit traditionellen Tänzen, aber ziemlich bearbeitet. Man kann darauf sehr sehr schöne Inselmusik finden. Er nennt sie „Ta Nisiotika“. Er macht Musik von den ganzen Ägäischen Inseln.

Tanz ist Erleben

Ich finde, wenn man unterrichtet, muß die Musik die Leute hineinlocken, jedenfalls zu Anfang; später, wenn man diese Musik schon einmal gehört hat, kann man ein bißchen tiefer hineingehen und am Ende spielt man entweder selber Geige und lernt das. Das ist oft der Weg. Z.B. beim ersten Mal, als man Misirlou hörte oder z.B. Zorbas – das war unsere erste Begegnung mit den griechischen Tänzen und jetzt schaut einmal her: Abends um drei Uhr tanzen Leute Tik oder etwas anderes Pontisches, wozu deine Mutter oder deine Schwester oder dein Vater denken würde, du spinnst, das ist doch keine Musik … So ist das. Man hört z.B. eine schöne alte Aufnahme von Makedonsko Devojče oder „Oro i pesna, sonce i ljubov …“ und fünf Jahre später möchte man Zurnas auf beiden Ohren haben und nur noch nach Zurna tanzen. Das ist der Weg zur Quelle. Ich hätte sonst davon nie erfahren. Ich mußte erst das hören, was … z.B. als Atanas das erste Mal nach Amerika kam, Pece war sein bester Freund, er benutzte seine Musik und Musik aus dem Dorf und er unterrichtete an einem Seminar im bekanntesten Folk Dance Camp der Welt. Sie haben ihm gesagt: „Atanas, Sie sind prima, Sie sind sehr gut,“ – ich kenne den Menschen, der das gesagt hat – „aber Ihre Musik können wir nicht verstehen. Also bitte: schönere Musik!“ Und er sah, was die Leute gern hatten: Israelische Musik, israelische Tänze … Also kam er ein Jahr später mit diesen schönen gesungenen Stücken von „Tanec“ usw. und die Leute liebten und lobten ihn … Er kann die echte Folklore. Er ist Volkskünstler und lebt davon. Man muß das auch respektieren. Man muß es nicht mögen.

Es dauerte zwanzig Jahre, bevor ich mich traute, selber für einen Tanz eine Reihenfolge von Figuren zusammenzustellen. Aber jetzt sehe ich: Das ist es, was sie alle tun. Auch im Dorf tun sie das. Auch, wenn sie tanzen, manchmal: „Machen wir zweimal das …“ und dann rufen sie den nächsten Teil aus. Alles ist „authentisch“. Valle e miratovcës hat ganz moderne Musik, ist mit Hall und Computersampling gespielt – das ist es, was da unten lebt. Man findet das jeden Abend. Da gehen junge Leute und tanzen das. Vielleicht einmal im Jahr spielen sie noch mit der Zurna. – Also was ist echt? Früher habe ich auch gesagt – wir können echt sagen im Westen, wir haben einen Luxus, wir können sagen, das, was alt ist, ist schöner, aber dort, wo sie leben, ist es schwierig für einen, der sein Haus nicht mehr hat, zu sagen, das, was alt war, ist schöner. – Nein, das, was neu werden soll, muß doch schöner werden. Die haben diesen Luxus nicht. Wir haben den Luxus, da ein wenig Kritik zu üben. Ich habe auch am liebsten Musik, wie ich es dort erlebt habe, mit Roma-Musikern. Ein alter Mann spielte für mich irgendwas, aber das … Vielleicht ist diese Beziehung zu persönlich gewesen, um das leicht zu verbreiten. Ich stehe da immer in der Mitte; manchmal muß ich mich fragen: Mache ich das, mache ich es nicht? Aber irgendwie muß ich die Verbindungen zu meinem Erlebnis finden und auch etwas Neues anbieten, etwas Neues schöpfen. Damit lebe ich jetzt. Damit arbeite ich jetzt. Und deswegen gehe ich zurück zum Thema „Tanz“. Es hat mit Tanz zu tun, nicht mit Tänzen. Ich sehe immer mehr Leute, die, je länger sie hierbleiben, sagen: „Moment, ich bin nicht Makedone, ich bin nicht Folklorist, ich bin nicht Anthropologe, ich bin nicht einer, der das dokumentieren möchte, ich bin einer, der das jetzt erleben möchte.“ Bei jedem Tanz kann man etwas über sich selbst oder über die Gemeinschaft lernen. Wenn jemand sich vorstellt, wie ich vor zwanzig Jahren oder vor dreißig Jahren, achtzehn Jahre alt, dachte, ich möchte ein siebzigjähriger Bulgare sein, aus der Dobrudža – das war ein Witz! Aber wir wollten so tanzen … doch, es war schön und wir haben Kritik geübt und vom Stil gesprochen … – Was ist Stil? Wie kann man überhaupt … Man kann wohl sagen: die Knie sind leicht gebeugt, man geht auf dem ganzen Fuß, aber Stil ist wirklich eine Sache von hier … [Geste], nicht von den äußeren Merkmalen. – Meiner Meinung nach. Ich versuche nachzumachen, was ich sehe. Das finde ich auch sehr schön, das ist ein Erlebnis, wenn ich neben jemandem tanze, versuche ich so zu tanzen wie er. Ich sah das auch im Dorf sehr oft – aber wenn der Leiter wechselt, wechselt auch der Stil. Da gibt es keinen einzig gültigen Stil. Das finde ich schön. – Jetzt sind wir philosophisch geworden.

(Stefan Kotansky, Mitschnitt 2001)