Alte und neue Tänze – alte und neue Tanzwörter
In Südosteuropa begegnet man unterschiedlichen, jedoch einander ähnelnden Bezeichnungen, die „Tanz” bedeuten. Zum Teil sind diese auf die Unterschiede zwischen den Sprachen zurückzuführen, jedoch nicht nur; so heißt „Tanz” makedonisch oro (z.B. Belasičko oro), bulgarisch horo (Pravo horo), serbokroatisch kolo (Milanovo kolo), rumänisch hora (Hora mare), griechisch horós (Palios horós) (1). Genauer heißen so die Kettentänze (oder Reihen- oder Kreistänze); Solo- und Paartänze werden anders bezeichnet, s.u..
Diese Bezeichnungen sind meist Bestandteil des Tanznamens, in Serbien und Kroatien (kolo) immer, in Makedonien und Bulgarien kann „horo” oder „oro” auch wegfallen („Pravo severnjaško horo” oder einfach „Pravo severnjaško”, „Krivo žensko” statt „Krivo žensko oro”). In Griechenland ist „horós” in der Regel nicht Bestandteil der Tanznamen; es gibt jedoch Ausnahmen wie den oben genannten Palios horós. Das Wort kommt dort vor allem als allgemeiner Oberbegriff mit der Bedeutung „Tanz” vor (z.B. diplós horós = zweifacher Tanz).
Weit verbreitet ist die Behauptung, „horo”, „oro”, „hora” und ähnliche Wörter stammten von dem griechischen „chorós” (χορόσ) ab. Die Belegstellen zählen zu Hunderten. Dagegen sprechen jedoch gewichtige Argumente und Indizien, nachzulesen z.B. bei Michael Hepp in seinem Buch „Von der Steinzeit zur Neuzeit – ein Überblick über die Tanzgeschichte Westeurasiens” (2). Anhand der verfügbaren Fakten legt er dar, „dass es sich bei den Wörtern der ‚chor‘-Wortfamilie um verwandte Erbwörter handelt, die auf einen gemeinsamen Ursprung zurückgehen.” (3) Bemerkenswert ist hier, dass die Wörter mit der Wurzel „chor” und der Bedeutung „Kettentanz” nicht erst seit der Antike, sondern bereits ab der Jungsteinzeit Eingang in die Sprachen der Gebiete gefunden haben, in denen die eurasischen Kettentänze sich allmählich ausgebreitet haben. Mit den Tänzen kam das Wort – ab etwa 10.000 Jahren v. C., lange vor der Entstehung der griechischen Sprache.
Das serbokroatische Wort kolo mit der ursprünglichen Bedeutung „Kreis, Rad” ist dagegen erheblich jünger und hat sich erst ab dem 19. Jh. im Südwesten des slawischen Sprachraumes gegenüber dem älteren oro durchgesetzt; hierbei handelte es sich anfänglich laut Steve Kotansky und Vladimir Tanasijević (mdl. Mitt.) um „ballroom-dances”, d.h. symmetrische, mehrteilige Kettentanzformen der bürgerlich-städtischen Bevölkerung, die sich von den archaischeren Oros klar unterscheiden (4).
„Tanc” (bg.)/„dans“ (rum.) aus dem spätantiken/mittelalterlichen Vulgärlatein oder aus dem Rheinfränkischen, „ballos” (gr.) bzw. „valle” (alb.) (5) und „ples” (skr.) aus einer prähistorischen (neolithischen) Wurzel, bezeichnen ursprünglich individuellere (Schau-)Tanzformen im Gegensatz zu den gemeinschaftlichen Kettentänzen (6). Auch in diesen Fällen bringen neue Tänze neue Tanzbegriffe mit. Allerdings lässt heute der Gebrauch all dieser „Tanz”-Wörter ihre Bedeutung teilweise ineinander fließen.
(1) oder chorós, gr. χορόσ – je nach Übertragung (Transliteration) des griechischen „χ” in das lateinische Alphabet entweder mit „ch” oder „h”. Für das kyrillische „х” (bg . хоро) gilt dasselbe; hier hat sich die Schreibweise „horo” durchgesetzt.
(2) Internetpublikation 2022: http://www.michelhepp.de/folkloretanz2/beitraege/Von%20der%20Steinzeit%20zur%20Neuzeit%2003.pdf, S. 31.
(3) a.a.O. S. 34, Hervorhebung durch uns
(4) Michael Hepp: Genese und Genealogie westeurasischer Kettentänze – gekürzte Version der Dissertation Münster 2015, Internetpublikation: http://www.michelhepp.de/folkloretanz2/beitraege/Genese%20undGenealogie%20der%20Kettentänze%20Westeurasiens%20Kurzfassung.pdf S. 96f
(5) vgl. dazu it. ballo, frz. bal, sp. baile
(6) a.a.O., Kap. 4.8, S. 100ff