Der Name
Wie heißt der Tanz denn jetzt eigentlich – Bavno oro oder Bavno Horo? Man trifft beide Namen aus allen möglichen Zeiten an, so dass keine von beiden Namensversionen als „die richtige“ bezeichnet werden kann. Obendrein gibt es für diesen Tanz auch noch folgende Namen: „Makedonsko Bavno Oro“, „Makedonsko Bavno Horo“, „Makedonsko Horo“ und „Makedonsko Oro“ – kurz: alle denkbaren Kombinationen aus „makedonsko“, „bavno“, „oro“ und „horo“. Immerhin kennen wir von der ersten Plattenaufnahme, einer bulgarischen Produktion, die ursprüngliche Betitelung „Makedonsko Horo“. In der RIFDC (1) ist der Tanz uns jedoch als „Bavno (h)oro“ geläufig.
Zur Aufklärung sei erwähnt, dass „horo“ ein bulgarisches und „oro“ ein makedonisches Wort für Reihentanz ist. So dürfte am wahrscheinlichsten die makedonische Bezeichnung „Bavno oro“ und die bulgarische „Makedonsko (bavno) horo“ lauten.
Die Musikaufnahmen
In den späten 1940ern erschien eine Aufnahme des bulgarischen Akkordeonisten Boris Karlov, zuerst als „Makedonsko horo“ auf dem bulgarischen Label Radioprom 1273, später als „Bavno oro“ auf der US-Platte XOPO 45-301. (2)
1974 nahm das in Los Angeles ansässige Orchester NAMA den Bavno Oro mit der gleichen Melodie neu auf. Dabei wirkten Sänger mit, die das makedonische Lied „Snošti sakav da ti dojdam“ sangen, das ursprüngliche Lied, auf dem die erste Melodie der Karlov-Aufnahme basierte.
1991 produzierten und betreuten Yves Moreau und Jaap Leegwater die Aufnahmen für die CD „Ajde na Horo“ (GEGA GD 134 erschienen 1992), die eine neue Version der alten Karlov-Melodie enthielt. Es hatte genau die gleiche Abfolge von Melodien und Tempowechseln, ohne Gesang. Das Orchester für diese Version wurde von Emil Kolev geleitet.
Die Noten zu Bavno oro auf folkloretanznoten.de beruhen auf der Aufnahme von Boris Karlov. Sie enthalten auch den Text der NAMA-Aufnahme, der, wie auf dem Cover mitgeteilt wird, aus der Sammlung „Pesme i igre naroda Jugoslavije“ von 1970 stammt. Damals gehörte ein Teil Makedoniens noch zu Jugoslawien.
Der Tanz
Der Ursprung des Tanzes lässt sich zurückverfolgen bis zu einem Aufenthalt des US-Folkloretanzlehrers Dennis Boxell in London 1961, wo er den Tanz neben anderen Tänzen von jugoslawischen und bulgarischen Gruppen lernte und bald darauf, 1962 beim California Kolo Festival lehrte. Eine Präsentation dieses Tanzes 1967 beim Stockton Folk Dance Camp unter dem Titel „Makedonsko Bavno Oro“ ist in einer Tanzbeschreibung belegt. In dieser Form ist er bis heute in der RIFDC erhalten und beliebt geblieben. (Tanzbeschreibung auf herwigmilde.de)
Bei diesem Tanz fällt die genaue Übereinstimmung zwischen Musik und Tanzfiguren auf; wohl aus diesem Grund klassifiziert Don Buskirk ihn als nicht-traditionellen, choreografierten „2nd Generation dance“ und als „pseudo-makedonisch“ („seuMacedonia“). (3) Auch Larry Weiner vermutet, dass er für Volkstänzer arrangiert wurde und wahrscheinlich nicht in Makedonien existierte (EEFC-Korrespondenz April 2016).
Die Musik besteht aus vier Melodien in der Abfolge A – B – A – C – D; der Tanz dagegen hat drei Teile, die auf die genannten Melodien in der Folge 1 – 2 – 1 – 2 – 3 getanzt werden. Er beginnt mit einem fast völlig banalen Lesnoto. Teil 2 des Tanzes wird bei der Wiederholung auf eine andere (etwas schnellere) Melodie (C) getanzt. Der Übergang von Melodie „C“ zu der schnellen „D“ und entsprechend von Tanzteil 2 nach 3 sticht besonders hervor.
Hier (Takt 48 in der Notation auf folkloretanznoten.de ) beginnt eine neue Melodie mit vier aufsteigenden Achteln am Ende eines 7/8-Taktes (3-2-2). Diese rhythmische Formel wird bis zum Schluss beibehalten und der Eindruck entsteht, es handele sich um einen Râčenica-Rhythmus in 2-2-3. Tatsächlich aber bilden die vier Achtel (oft im Gewand von zwei Triolen) eine Art Auftakt:

Dick Oakes (2021) interpretiert dies so, dass er einen „einzelnen Schlag“ zusätzlich nach der 2. Wiederholung der 2. Figur (dort „Fig. IV“) konstruiert, um dann mit einem Râčenica-Rhythmus in 2-2-3 in seiner Fig. V (hier 3. Figur) fortzufahren. Er zählt von da an „count 1, count 3, count 5“ (12-34-567). (4)
Ron Houston und Don Buskirk vertreten dieselbe Auffassung. Houston: „Der Takt ist 7/8, gezählt 1 (langsam), 2 (schnell), 3 (schnell) in den ersten 2 Teilen und 1 (schnell), 2 (schnell), 3 (langsam) im letzten Teil.“ (5) Sein Kunstgriff lautet: „1 ct – Sprung nach R auf den R Fuß … Keine Zählzeiten 2 oder 3 in diesem Takt.“ Buskirk: „RHYTHMUS: 7/8: 123,12,12 (SQQ), später 12,12,123,(QQS)“. Houston und Buskirk haben den Rhythmuswechsel allerdings nicht erfunden. Schon Dennis Boxell (1967) schreibt in seiner Tanzbeschreibung noch abenteuerlicher 3/4 (!) für Part I und Part II und 7/8 (2-2-3) für Part III.
Jutta Weber-Karn (Mail an Yves Moreau am 05.04.2016) sieht eine Entsprechung auf der musikalischen Ebene bei Boris Karlov:
„Karlov änderte die Harmonien im selben Takt, aber nicht bei der Zählung 1 für den ganzen Takt, sondern nur bei der Zählung 2 und 3, was den Wechsel zum Râčenica-Rhythmus im schnellen Teil unterstreicht. … ein Schein-Râčenica-Rhythmus …“
Dieser „unechte“, aber beliebte Folkloretanz weist so viele interessante und z.T. auch verwirrende Besonderheiten auf, dass er unbedingt einen Platz in unserem Internetmagazin verdient – abgesehen davon, dass er seit langem immer noch so beliebt ist.
(1) RIFDC: Recreational International Folk Dance Community, die Gemeinde des internationalen Freizeit-Folkloretanzes, kurz: Freizeittanz
(2) Jutta Weber-Karn EEFC-Korrespondenz 2016; Dick Oakes datiert 2021 diese Aufnahme auf die frühen 1950er Jahre.
(4) „NOTE: Fig IV is followed by a single beat corresponding to the first „slow“ beat, or ct 1, on which dancers: Leap R swd, bending knee and thrusting L ft fwd as a transition into Fig V (ct 1).“ (https://socalfolkdance.org/dances/B/Bavno_Oro_No_2_A_Macedonian.pdf)
(5) „The meter is 7/8, counted 1 (slow), 2 (quick), 3 (quick) in the first 2 parts, and 1 (quick), 2 (quick), 3 (slow) in the last part.“