Folklore im Wandel – 4
Ein einfacher Tanz aus der Pirin-Region, der schon früh Eingang in bulgarische Lehrbücher gefunden hat (z.B. empfiehlt ihn Stefan Vâglarov in Bâlgarski narodni hora i tanci, Izd. Medicina i Fizkultura, Sofija 1976, für das Tanzprogramm der ersten Schulklasse). Einem bestimmten Tanzlehrer ist er nicht zuzuschreiben – aber für einen Lesnoto-Grundschritt oder einen Pravo-horo-Grundschritt brauchen wir auch keinen Tanzlehrer. Es ist lediglich eine Erweiterung des ubiquitären Dreitaktmusters (R L | R – | L -) durch Verdoppelung des ersten Taktes mit zwei Schritten (R L | R L | R – | L -), hin zum Viertaktmuster, und zwar in Anpassung an die Struktur der Musik.
Vor dem Hintergrund der Dissertation von Michel Hepp (1) bekommt dieses letzte Detail auf einmal eine interessante historische Dimension: Nach Michel Hepps Forschungen ist das Viertaktmuster als eine relativ junge Weiterentwicklung aus dem Dreitaktmuster zu verstehen.
Die erste hier bekannte Aufnahme der Musik ist – mit werksseitigem Superrauschen am Anfang – als Single beim US-Tanzlabel XOPO (Nr. X 329 b) erschienen, wahrscheinlich auf Anregung von Dick Crum, der den Tanz in Bulgarien lernte und ihn 1975 in den USA einführte. Mittlerweile hat Michel Hepp die Aufnahme lizenziert und ohne Plattengeräusche auf seiner CD „Mitmachtänze 3“ herausgegeben.
[Anm. 6.12.2016: Der Ursprung der Aufnahme ist inzwischen geklärt, siehe unseren Artikel Trăgnala Rumjana, ein „Tanz aus dem Pirin”.]
Noch ein wichtiger Aspekt dieser Aufnahme, der gerne übersehen – oder besser: überhört – wird: Es ist kein 7/8-, sondern ein 8/8-Rhythmus (3-2-3). Diesen findet man ebenfalls bei einigen anderen alten Aufnahmen aus Pirin, die Folkloretänzern als 7er-Rhythmus weitergereicht wurden (in diesem Fall auch von Vâglarov im oben erwähnten Lehrbuch). Das Gelernte wurde natürlich dann eher selten hinterfragt, denn der Tanzschritt selbst ist davon unbeeinflußt. Im Gegensatz dazu gibt es jedoch verschiedentlich alte (bulgarische) Notationen dieser Stücke im 8er-Rhythmus, was annehmen läßt, daß in früheren Jahren noch mehr Leute diesen Unterschied zu hören in der Lage waren.
Moderne Einspielungen der betreffenden Stücke sind in 7/8, denn das Wissen über diese schöne regionale Besonderheit ist bedauerlicherweise im Verschwinden begriffen. Die in- und ausländischen Choreographen und Tanzlehrer haben daran einen nicht unwesentlichen Anteil. Eine dieser neueren Aufnahmen, gesungen von Janka Rupkina und Valentina Lavčeva mit dem Teodosij Spasov Quartett, hört man auf der CD „Ajde na horo – 20 Bulgarian Folk Dance Favorites”, Gega GD 134 (1992), herausgegeben unter der Leitung von Yves Moreau und Jaap Leegwater.
(1) Hepp, Michael: Genese und Genealogie westeurasischer Kettentänze. Dissertation Münster 2015