Alunelul – Haselnuß vs. Nelu 

Unter dem Namen „Alunelul” existieren in unseren Folkloretanzkreisen eine Reihe von Tänzen, die entweder einfach „Alunelul” heißen oder „Alunelul bătut” oder „Alunelul sucit” oder „Alunelul ca la Cîrna” usw. (1) Dazu heißt es oft, der Name „Alunelul” bedeute „Haselnuß” oder „Haselnußstrauch”. 

Allerdings heißt die Haselnuß „alună” und nicht „alunelul”; der dazugehörige Strauch ist rumänisch „alun”. Zum „alunel” wird er durch die Verkleinerungsnachsilbe „-el”; und weiter entsteht „alunelul” durch eine zweite Anhängung: die des Artikels „-ul”. (Dies ist eine Besonderheit der rumänischen Sprache, die – wie es übrigens auch im Bulgarischen und im Makedonischen der Fall ist – den bestimmten Artikel (dt. „der/die/das”) an das Ende des Wortes anfügt). Genau übersetzt bedeutet demnach „alunelul” „das Haselsträuchlein”.

Nun treten allerdings Gewährsleute aus Rumänien auf, die den Namen anders deuten: Er sei eine Zusammenziehung von „a lu Nelu” (2). Nach dieser Lesart wäre Alunelu im Sinne einer Zuordnung zu Nelu (von Ionel, Diminutiv von Ion = Johann) zu verstehen. Sie wird durch die Präposition „a” ausgedrückt, entsprechend dem deutschen Dialekt-Ausdruck „dem Nelu seiner”; dem entspricht hochdeutsch der Genitiv „Nelus”. So alleinstehend ergibt „Nelus” noch keinen Sinn; hier fehlt noch eine Ergänzung, die sich aus dem Kontext ergibt: Tanz. „A lu Nelu” wäre demnach wiederzugeben mit „Nelus Tanz”. Der Gleichklang mit dem rum. Haselsträuchlein alunel wäre dann eher zufällig. Freilich ist damit noch nichts bewiesen.

Vielleicht hilft hier der Liedtext weiter (3):

Alunelu, alunelu, hai la joc! Să ne fie, să ne fie cu noroc!

Daß ein Lied mit den Worten „Haselsträuchlein, Haselsträuchlein, auf zum Tanz” beginnt, wäre nicht ungewöhnlich; zahlreiche rumänische Lieder beginnen mit Formeln wie „foaie verde busuioc”, „grünes Basilikumblatt”, ohne jeden Sinnbezug zum folgenden Text. Aber es gibt hier ein kleines Detail, das kaum auffällt und der Schlüssel zum Verständnis sein könnte: Der Text beginnt mit den Worten „Alunelu, alunelu, …” und nicht „Alunelul. (Wir bleiben zunächst noch beim Liedtext; zum Tanznamen kommen wir später.) Wenn das Haselsträuchlein gemeint wäre, müßte der Text „Alunelul, alunelul, …” lauten. Es gibt tatsächlich eine Quelle, die den Text in dieser Form (mit „-ul”) wiedergibt – es ist eine US-amerikanische (4). Sucht man aber im Internet, egal über welche Suchmaschine, nach „alunelu”, werden auf den ersten zwei Seiten zehn und mehr rumänische Quellen angezeigt, die sich auf das Lied beziehen (oder auf den Tanz zum Lied), bei „alunelul” erscheinen auf den ersten zwei Seiten nur nicht-rumänische Quellen (englische, italienische, deutsche).

Was sagt uns das? Wir meinen, die richtige, weil in rumänischen Quellen ausschließlich genannte Form ist „Alunelu” – „Nelus Tanz”, also ein Tanzname, den wir sinnvollerweise im Liedtext nicht übersetzen: „Alunelu, Alunelu, auf zum Tanz!” (5). So abwegig ist dies nicht, denn Alunelul (mit -ul) ist die Bezeichnung für einen Tanztyp, d.h. für eine Vielzahl an Tänzen aus Oltenien und Muntenien. Entsprechend könnten wir sagen: „Polka! Polka! Auf zum Tanz!” Und die auf der Basis von „alunel” grammatisch unmögliche Form „alunelu” ist nur als „a lu Nelu” sprachlich regelkonform (6).

Wie kommt nun aber der Tanz (oder Tanztyp) zu seinem Namen Alunelul, wenn die namengebende Liedzeile „Alunelu, alunelu, hai la joc!” lautet? Tanznamen männlichen Geschlechts enden generell auf den bestimmten Artikel „-ul”: Rustemul, Brâul, Galaonul, Polobocul, Trandafirul usw. So wurde in Analogie aus dem Alunelu beinahe zwangsläufig ein Alunelul. Der sah nun dem Haselsträuchlein zum Verwechseln ähnlich. Sodann liegt die Vermutung nahe, daß der Tanz auf dieses Lied die ursprüngliche Form war, aus der sich dann viele weitere Varianten differenziert und den Namen mitgenommen haben, dann aber immer mit Zusatz (s.o.). Genauer unterschieden und identifiziert wird lt. Ron Houston (7) der – vermutlich – ursprüngliche Alunelul durch den Namen „Alunelul comun“, „der gewöhnliche A.“.

Wir fassen zusammen: 1. Der Liedtext beginnt mit „alunelu” (nicht „alunelul”). 2. Dieses Wort leitet sich von dem männlichen Vornamen Nelu ab (und nicht von alunel) und ist als Kontraktion von „a lu Nelu” zu verstehen, deutsch: „Nelus [Tanz]”. 3. Der Tanzname „Alunelul“ mit „-ul“ basiert auf dem Liedanfang „Alunelu, alunelu, hai la joc“ und hat durch Analogiebildung zu anderen Tanznamen ein End-„ul“ erhalten. Mit der Haselnuß und anderen wortverwandten Dingen hat der Name nichts zu tun.

Unter dem Namen Alunelul ohne Zusatz trifft man meist auf den Tanz, der unter hiesigen Folkloretänzern weithin bekannt ist (4 und 7). Manchmal hört man unter diesem Namen nur seine Melodie, auf die dann mehr oder weniger phantasievolle neue, bühnentaugliche Choreographien ausgeführt werden. Häufig sind auf Youtube Kindergruppen im Vorschulalter mit Alunelul zu sehen. Das rumänische Onlinewörterbuch Dexonline schreibt, eine Form des Tanzes sei ein Brâu, der in allen rumänischen Regionen in den Schulen verbreitet ist (siehe Fußnote 1). Auch Ron Houston, ein US-amerikanischer Folkloretanzhistoriker, stellt fest, daß Alunelul im frühen 20. Jahrhundert in das rumänische Schulsystem Eingang und landesweite Verbreitung fand. Ist unser Alunelul also ein Kindertanz? Der Liedtext, der pädagogisch ziemlich bemüht für das Tanzen wirbt, indem er den Kindern verspricht, daß sie dann groß werden (und andernfalls klein bleiben!), scheint das nahezulegen. Ob er aber erst in modernen Zeiten zum Kindertanz geworden ist, dafür fehlen uns vorerst leider die Belege.

Hier folgt nun der vollständige Text:

1. Alunelu, alunelu, hai la joc,
să ne fie, să ne fie cu noroc! 2x
Cine-n horă o să joace
mare, mare se va face.
Cine n-o juca defel
va rămîne mititel.

2. Alunelu, alunelu hai la joc,
să ne fie, să ne fie cu noroc! 2x
Joacă, joacă tot pe loc,
să răsară busuioc.
Joacă, joacă tot aşa,
joacă şi nu te lăsa.

Übers.:

1. Alunelu, Alunelu [= Tanzname], auf zum Tanz, damit er uns Glück bringt!
Wer die Hora tanzt, wird groß. Wer sie nicht tanzt, bleibt klein.

2. Alunelu, Alunelu, auf zum Tanz, damit er uns Glück bringt!
Tanze, tanze auf dem ganzen Platz, damit das Basilikum wächst.
Tanze, tanze genau so, tanze und höre nicht auf.

Zu guter Letzt: Wie kam der Tanz in die Folkloretänzergemeinde außerhalb Rumäniens? Die vorbildliche historische Dokumentation US-amerikanischer Folkloretanzorganisationen verfolgt die Spur zurück bis zu Larisa Lucaci ( 2015), einer Tanzlehrerin aus Rumänien, die 1948 in die USA emigrierte und dort 30 Jahre lang rumänische Tänze lehrte. Sie produzierte Musikaufnahmen in Kooperation mit Michael Herman unter dessen Label „Folk Dancer”, darunter auch Alunelul (7 und 8). So fand der Tanz Eingang in das Repertoire des Freizeittanzes in Nordamerika und kam von dort mit vielen anderen meist europäischen Volkstänzen nach Deutschland und zu seinen Nachbarn – ein Prozeß, der genug Stoff für eine eigene Untersuchung bietet.


Hinweis: Nachtrag zu diesem Artikel


(1) Eine kleine Auswahl, um die Vielfalt zu verdeutlichen: Alunelul ca la Cârna-Bârca, Alunelul de brâu, Alunelul de la Băilești, Alunelul de la Bîrca, Alunelul de la Daneți, Alunelul de la Godinești, Alunelul de la Horezu, Alunelul de la Orodel, Alunelul de la Urzica, Alunelul de la Vădăstrița, Alunelul de mâna de la Goicea, Alunelul din Corlata, Alunelul înfundat, Alunelul plimbat, Alunelul rudaresc, Alunelul sucit. Die Bezeichnungen beziehen sich entweder auf den Ort oder die Gegend ihrer Herkunft (Băilești, Orodel, Vădăstrița usw.) oder auf die Art und Weise, wie getanzt wird (înfundat: geschlossen, de mâna: in Handhaltung, de brâu: in Gürtelfassung, plimbat: spazierend usw.).
Das rumänische Onlinewörterbuch Dexonline (https://dexonline.ro/definitie/alunel) führt u.a. zwei interessante Einträge zum Tanz an:

alunelul 1. Joc popular românesc cu diferite variante și denumiri (a. de mână, a. îngenuncheat, a. plimbat, a. înfundat, a. bătut, a. ca la Dolj etc.), răspândit în Oltenia. Este un joc de bărbați sau mixt, în linie, cu brațele încrucișate la spate sau în față. A. mai poate fi întâlnit și în formație de cerc, cu brațele îndoite prinse în lanț. Are ritm binar* și o mișcare vioaie, cu pași bătuți și încrucișați. 2. Variantă de brâu (brâu nou), popularizat în toate regiunile prin școală.

„1. rumänischer Volkstanz mit verschiedenen Varianten und Bezeichnungen (A. de mână, A. îngenuncheat, A. plimbat, A. înfundat, A. bătut, A. ca la Dolj usw.), verbreitet in Oltenien. Er ist ein Männer- oder gemischter Tanz in Reihen in Rücken- oder Vorderkreuzfassung. Man sieht in auch in Kreisformation in W-Fassung. Er hat einen binären Rhythmus und lebhafte Bewegungen mit Stampf- und Kreuzschritten. 2. Variante des Brâu (Brâu nou), durch die Schule in allen Regionen populär.“

ALUNELUL s. m. art. Dans popular românesc în ritm binar și mișcare vioaie, răspîndit în special în Oltenia și în Muntenia; melodia corespunzătoare acestui dans.

„Rumänischer Volkstanz in binärem Rhythmus und lebhaften Bewegungen, speziell in Oltenien und Muntenien verbreitet; Melodie zu diesem Tanz.“

(2) Monika und Marius Unterreiner, Mannheim (Mitt. 21.07.2016), Raina Kacarova und Silviu Ciuciumiș (zit. b. Michael Hepp: Genese und Genealogie westeurasischer Kettentänze, Münster 2015, S. 312) sowie Anca Giurchescu und Sunni Bloland in ihrem Buch Romanian Traditional Dance (1992) S. 267: Alunelu is popularly translated as a diminutive of hazel tree. In fact it seems that the name is a contracted form of A lu Nelu (Nelu’s dance, Nelu being a diminutive of the [name] Ion/„John”): Alunelu wird allgemein als Verkleinerungsform des Haselstrauchs übersetzt. Tatsächlich ist der Name anscheinend eine zusammengezogene Form von „a lu Nelu“ (Nelus Tanz; Nelu ist die Verkleinerungsform des Namens Ion/Johann).

(3) laut http://www.cantecedecopii.com/cantec-alunelu/

(4) Die Folk Dance Federation of California (http://www.folkdance.com/federation/dances/alunelul.pdf) schreibt: Alunelul, alunelul, hai la joc

(5) Allerdings wird Alunelul außerhalb Rumäniens sehr häufig mit „die Haselnuß” oder auch „der Haselstrauch” (Mihai David: „the hazelnut”) übersetzt. Eine Aufnahme der Essential Media Group (USA) von 2011 trägt dem Titel „Alunelul Dance (Hazelnut Tree Dance)”. Womit die Deutung „Haselnuß” weiter zementiert wird.

(6) Die Endung „-u” gibt es im Rumänischen nicht bei Substantiven, sondern nur bei Eigennamen (Eminescu, Popescu usw.). Männliche Substantive enden entweder auf Konsonant oder auf den enklitischen Artikel „-ul”, es sei denn, das End-u ist Teil des Wortstamms (z.B: leu).

(7) beschrieben u.a. auf www.herwigmilde.de und bei Ron Houston: Folk Dance Problem Solver (1987). Austin, Texas: Society of Folk Dance Historians, 1987 (http://www.sfdh.org/encyclopedia/alunelulcomun.php):

Alunelu(l) (a-loo-NEH-loo) = (the) little hazelnut
Other names: Alunelul Comun. Alunelul Cunoscut. The 5-3-1 Dance.
Background: Originally from Oltenia, a region in southwest Romania, Alunelul entered the Romanian school system curriculum in the early 20th century and spread country-wide. Larisa Lucaci taught it to the US in 1955; thence it spread worldwide. Being the generic name of a huge and disconnected family of dances, „alunelu“ probably has nothing to do with the subfamily of birches, Betulaceae, commonly called hazelnuts, cobnuts, filberts […]

„Alunelu(l) = (das) Haselnüßchen
Andere Namen: Alunelul Comun. Alunelul Cunoscut. Der 5-3-1-Tanz.
Hintergrund: Ursprünglich aus Oltenien, eine Region in SW-Rumänien. A. wurde im frühen 20. Jh. in das rumänische Schulsystem eingeführt und verbreitete sich landesweit. Larisa Lucaci lehrte ihn 1955 in den USA; von da aus verbreitete er sich weltweit. A. ist der Gattungsname einer riesigen und unzusammenhängenden Familie von Tänzen und hat wahrscheinlich nichts zu tun mit der Unterfamilie von Birken, Betulaceae, allgemein Haselnuß genannt.“

Siehe auch https://sfdh.us/encyclopedia/alunelu.html

(8) Larisa Lucaci auf SFDH.us: https://www.sfdh.us/encyclopedia/lucaci_l.html