Der Bufčansko ist seit ca. fünfzig Jahren in unserer Folkloretanzszene als makedonischer Tanz bekannt und beliebt. Zunächst von Tänzer zu Tänzer weitergegeben, haben wir ihn nochmals gründlich und stilbewußt 1984 bei Stanimir Višinski und 1986 bei Pece Atanasovski gelernt; auch Atanas Kolarovski, Paul Mulders und Saško Anastasov hatten ihn in ihren Lehrprogrammen. (1)
Über diesen Bufčansko wurde neulich in der Mailkorrespondenz des East European Folklife Centers (EEFC) diskutiert. Dabei kamen überraschende Dinge über seine Ursprünge zur Sprache. Sie zeigen in exemplarischer Weise, wie Tänze über Grenzen hinweg verwandt sein können – wenn die hier wiedergegebenen Informationen denn zutreffen. Anstoß gab die Ähnlichkeit der Melodien einer kretischen Ballade – Erotokritos – und des makedonischen Tanzes Bufčansko.
Was Joan Friedberg im EEFC dazu berichtet hat, wollen wir deshalb unseren Lesern zugänglich machen. Sie schreibt:
„In den 1970ern bemerkte ich, daß das Schrittmuster für Bufčansko dasselbe war wie das des Kritikos Syrtos, wie ich ihn in einer Taverne in Heraklion auf Kreta 1971 gesehen hatte. Die Bewegungen des Kritikos Syrtos, wie sie in Heraklion getanzt wurden, waren sehr zurückhaltend. Sie bestanden aus zwei Figuren; die eine bewegte sich nach innen und nach außen, die zweite kreuzte nach links und nach rechts.
Ich hatte Bufčansko von Folkloretänzern getanzt nur in „The Intersection” in Los Angeles gesehen. Später, 1982, wurde er von Pece Atanasovski in seinem Sommerkurs in Oteševo gelehrt; er lehrte ihn als einen ziemlich stilisierten Frauentanz.
Trotz des Unterschieds in Bewegung und Stil paßten die Schrittfiguren dieser zwei Tänze zusammen – und das erschien mir sehr merkwürdig. Das Thema kam zur Sprache, als der Tanzlehrer Ted Sofios eines Abends in „The Intersection” unterrichtete. Er vertrat die Theorie, daß kretische Soldaten, die während der Balkankriege [1912 – 1913] in umstrittenen Grenzgebieten stationiert waren, ihren Syrtos weitergegeben haben könnten. Irgendwie tauchte er als Bufčansko unter Leuten auf, die aus dem Dorf Buf, heute Akritas, in der Region Florina, ausgewandert waren und sich auf der anderen Seite der Grenze angesiedelt hatten. Diese Grenze war zu dieser Zeit sehr durchlässig.”
Ron Houston, ein zuverlässiger Tanzhistoriker aus den USA, teilt diese Hypothese. Seinen Abschnitt über die Verwandtschaft von Kritikos Syrtos und Bufčansko überschreibt er zwar mit „Speculation”, jedoch führt er dafür eine ganze Reihe detaillierter und fundierter Gründe an. (2)
Joan Friedberg fährt fort: „Bis hier haben wir von den Schrittfiguren gesprochen. Aber wenn man die Version des Erotokritos aus Sitia in Ostkreta […] hört, zeigt sich eine deutliche Ähnlichkeit mit der Musik, die Folkloretänzer als Bufčansko kennen. […] Nun haben wir also einen weiteren Beleg für eine gewisse Verbindung zwischen diesen zwei Tänzen aus zwei verschiedenen Kulturen.
Bei kretischen Abendtanzveranstaltungen in Los Angeles wird der Erotokritos (nicht vollständig) fast immer gegen Ende des Abends gespielt und gesungen, wenn die Männer sich um die Musiker scharen – zum Zuhören, nicht zum Tanzen. So ist der kulturelle Kontext dieser zwei Tänze völlig unterschiedlich.” (3)
Der Weg des Bufčansko von den Ursprüngen bis in unsere Freizeittanzszene (bzw. die der USA) läßt sich anhand der einschlägigen Quellen nachzeichnen: Von Frauen aus dem Dorf Buf in der Region Florina in Griechisch-Makedonien, die nach Bitola ausgewandert waren, lernte ihn Vlada Taseva, eine Tänzerin des Ensembles „Mladost” aus Bitola, die 1949 in das Ensemble „Tanec” (Skopje) aufgenommen wurde. Durch „Tanec” wurde Bufčansko zahlreichen anderen makedonischen Tanzensembles bekannt, unter anderem dem Ensemble „Orce Nikolov” (Skopje); deren Tänzer lehrten ihn Elsie Ivančić Dunin. Fast gleichzeitig gab ihn Atanas Kolarovski, ein Tänzer des Ensembles „Tanec”, weiter an Dennis Boxell; beide, Dunin und Boxell, führten den Bufčansko 1964 in Folkloretanzkreise in den USA ein. (4)
So wäre denn der Bufčansko einer der Folkloretänze mit Migrationshintergrund – aus Kreta nach Makedonien migriert – und die Eingangsfrage „makedonisch oder kretisch?“ wäre sowohl bezüglich der Schrittfiguren als auch der Melodie zu beantworten: „makedonisch und kretisch!“
(2) Ron Houston: Folk Dance Problem Solver (FDPS) 2004, S. 13
(3) Joan Friedberg in der EEFC-Mailkorrespondenz 27.07.2021, Übersetzung: Herwig Milde
(4) Dunin, Elsie Ivančić und Višinski, Stanimir: Dances in Macedonia. Skopje 1995, S. 26;
Dimčevski, Gjorgji: Vie se oro makedonsko. Skopje 1983, S. 126;
Ron Houston: Folk Dance Problem Solver (FDPS) 2004, S. 13