Hora miresii

„Brauttanz” heißt der Name des Tanzes aus Rumänien. Mit diesem Hinweis auf die reichhaltigen Details einer traditionellen Hochzeitszeremonie, mit dem getragenen Klang des Tanzliedes und den ganz besonders ruhigen Tanzschritten hebt die Hora miresii sich von der großen Masse der Folkloretänze deutlich ab und weckt vielleicht bei uns Tänzerinnen und Tänzern die Neugier, das Bedürfnis, Genaueres zu erfahren. 

Das Hochzeitsritual

In der traditionellen Hochzeitszeremonie der Länder Südosteuropas bildet der Abschied der Braut von ihren Eltern, dem Rest der Familie und ihren Freundinnen eine besonders ergreifende Phase des Geschehens, gekennzeichnet durch Schmerz, Trauer und Tränen. Dies drückt sich auch in den Melodien, Liedtexten und Tänzen aus, die diese Phase begleiten. Ron Houston zitiert im Folk Dance Problem Solver 1994 aus einem Artikel aus Viltis 17 (1958), der die rumänische Hochzeitszeremonie beschreibt:

„Die Braut wird in ihrem Haus von ihren Brautjungfern eingekleidet. Ihr Haar wird mit größter Sorgfalt gekämmt; der Brautkranz wird aus Münzen oder natürlichen Blumen gewunden. Während der Zeremonie des Einkleidens wird sie mit sehr traurigen Liedern besungen. … Die Braut antwortet mit ebenso traurigen Liedern, wie um ihr schweres Herz zu erleichtern. Man muß wissen, daß Rumänen besonders gern singen, wenn sie traurig sind.”

Ganz ähnlich schildert Mercia MacDermott diesen Teil des Rituals für Bulgarien, wo die Dinge nicht anders abliefen als in Rumänien – von Details abgesehen:

„Wenn ihr Haar gewaschen war, saß die Braut in der Mitte des Raums […] Die einzigen Anwesenden waren die Mutter und die Freundinnen, die das Haar flochten. […] Während des Flechtens sangen sie traurige Lieder, die den Vorgang beschrieben und sich auf das Ende des Lebensabschnitts der Braut als unverheiratetes Mädchen und ihren bevorstehenden Weggang zu einem ‚fremden Dorf‘ und dem ‚Haus eines Fremden‘ bezogen; dabei mußte die Braut weinen.” (1)

Der Tanz

Durch mehrere Vermittler fand der Tanz Eingang in die Folkloretanzszene. Wir verfügen über  Tanzbeschreibungen aus fünf verschiedenen Quellen:

1. Bärbel Loneux 1989 (Tanzbeschreibung zum Unterrichtsprogramm 1989, S. 34)

2. Nicolaas Hilferink 1988 in Stockton Folk Dance Camp Syllabus 1988 S. 48 (2)

3. Nicolaas Hilferink 1988 in der Tanzbeschreibung der Folk Dance Federation of California März 1989 (3)

4. Tanzbeschreibung von Ron Houston im Folk Dance Problem Solver 1994 S. 16, unter Berufung auf Nicolaas Hilferink (1985 und 1988) und Joe Sigona (1988)

5. Marius Korpel/Henk Jonker (Tanzbeschreibung zu LP Syncoop 5747.06 / Electrecord ST-CS 0196)

Dabei fällt auf, daß außer Loneux keines dieser Dokumente weiter zurück führende – originale – rumänische Quellenangaben anführt. Sie nennen als Ursprung zwar eine geographische Zone, den Kreis Bihor im Kreischgebiet (Crișana) in NW-Transsylvanien, aber keinen rumänischen Gewährsmann, Tanzlehrer oder Tanzensemble. Allein B. Loneux nennt Theodor Vasilescu als Vermittler. Vermutlich ist er auch der Urheber; der Stil der Choreographie legt das nahe.

Die Beschreibungen von Loneux und Korpel/Jonker sind identisch (Tanzbeschreibung auf herwigmilde.de), während die US-amerikanischen (ohne Angabe einer rumänischen Originalquelle) einheitlich den dritten Teil, der nur eine seitenverkehrte Wiederholung des ersten darstellt, nicht kennen.  Die Teile 1 und 2 sind auch dort dieselben wie bei Loneux.

Das Lied

Gată-ți, fată, lăduta, măi,
că meri dă la măicuța, măi.
Oi n-am și da ler mireasă.

Gată-ți, fată, poalile, măi,
cum cătana armile, măi.
Oi n-am și da ler mireasă.

Lasă-ți, fată, hainile, măi,
că meri cum cătanile, măi.
Oi n-am și da ler mireasă.

Peste munți la alte curți, măi,
la părinți nacunoscuți, măi.
Oi n-am și da ler mireasă.

Ieși, măicuța, pîn-afară,
și pune proptă la soare.
Oi n-am și da ler mireasă.

Să fie zîua mai mare,
să mai stau cu dumnetale.
Oi n-am și da ler mireasă.

(4: Anm. zur Aussprache)

Deutsche Übersetzung:

Mädchen, bereite [deine] kleine Truhe, weil du deine Mutter verläßt.
(„Oi n-am și da ler”: unklarer Sinn, vielleicht sinnfreier Refrain)
Mädchen, bereite [deine] Röcke, wie der Soldat seine Waffen. (5)
Mädchen, laß deine Kleider zurück, weil du wie die Soldaten gehst (6)
Über die Berge in andere Höfe, zu unbekannten Eltern.
Geht, Mütterlein, nach draußen und bittet die Sonne um Hilfe,
Damit dieser Tag länger dauert, damit ich länger bei Euch bleiben kann. (7)

Unserer Textfassung liegt die Aufnahme mit der Sängerin Florica Bradu, begleitet durch das Orchester Gheorghe Vancu, zugrunde. Sie wurde auf der LP „Rencontre avec la Roumanie – Bihor“, Electrecord STM-EPE 0997 (1971) veröffentlicht. Dieselbe Einspielung wurde bei Syncoop (s.u. Fußnote) und in Syncoop-Lizenz bei Loneux auf der LP „Jocuri Populare Românesti” herausgebracht und ist die in unseren Folkloretanzkreisen gebräuchliche Version.

Hora miresii mit Florica Bradu und Orchester Gheorghe Vancu:

 

Der Name „Hora miresii”

Auf eine manchem Leser vielleicht rechthaberisch erscheinende Anmerkung zum Namen des Tanzes wollen wir hier nicht verzichten. Denn auch hier sehen wir wieder – wie so oft in der Folkloretanzszene – den „Stille-Post-Effekt” am Werk.

Der Name des Tanzes „Hora miresii” geht zurück auf das rumänische Wort für „Braut”: mireasă. Der Genitiv von mireasă – „Tanz der Braut” – lautet korrekt miresei. Der Tanz müßte also Hora miresei heißen. So schreibt es auch das rumänische Internetlexikon dexonline.ro. Aber selbst Rumänen schreiben gelegentlich „miresii”. Und da auch die Sängerin einige Wörter mit „i” statt „e” artikuliert, wollen wir bei „miresii” nicht päpstlicher sein als der Papst. (8)


(1) Mercia MacDermott: Bulgarian Folk Customs S. 116; detaillierte Ausführungen zum bulgarischen Hochzeitsritual s. Herwig Milde: Die Bulgarische Tanzfolklore S. 37 ff

(2) Nicolaas Hilferinks Tanzbeschreibung:  https://static1.squarespace.com/static/5372e7efe4b0cb63d6f65424/t/54baff26e4b00aad29d9d730/1421541158415/FDC1988.pdf

(3) Tanzbeschreibung der Folk Dance Federation of California März 1989: http://www.socalfolkdance.org/dances/H/Hora_Miresii.pdf

(4) Abweichende Artikulation im Gesang (Dialekt):
„poalile”, „armile”, „hainile”, „cătanile”, „nacunoscuți”, „dumnetale” statt std. rum.
„poalele”, „armele”, „hainele”, „cătanele”, „necunoscuți”, „dumneatale”

(5) B. Loneux und Korpel/Jonker schreiben: „nu căta la alt mire” – „suche keinen anderen Bräutigam mehr”. „Gată-ți, fată, poalile” übersetzen Korpel/Jonker mit „du sollst den Saum deines Rockes noch fertigmachen” und B. Loneux mit „mach’ dich bereit mit deinem Brautkleid”. Ohne die Anrede „fată” – Mädchen bleiben „Gată-ți” – bereite und der Plural „poalile” von „poală” – Rock. Also: „Bereite die Röcke”.

(6) Loneux, Korpel/Jonker: „că meri cu zădanile” – dt. Loneux: „der Segen deiner Eltern begleitet dich”, Korpel/Jonker: „du gehst nun mit deinen eigenen Sorgen”

(7) Nach folkloretanznoten.de und Marius Korpel/Henk Jonker (Tanzbeschreibung zu LP Syncoop 5747.06 / Electrecord ST-CS 0196). Jutta Weber-Karn ist der Hinweis zu danken, daß die Textversion mit „cătana” – Soldat (und cătanile – Soldaten) auf einer Überprüfung der Textabschrift durch den Rumänen Virgil Speriosu beruht. In Ermangelung einer gedruckten Liedfassung, auf die wir uns verlassen könnten, sind wir auf sorgfältiges Abhören der leider akustisch nicht eben transparenten Aufnahme angewiesen.

(8) Das rumänische Wörterbuch Dexonline notiert:
MIREÁSĂ, mirese, s. f. 1. Nume purtat de femeie în ziua sau în preajma căsătoriei sale. … HORA MIRÉSEI s. (COR.) nuneasca (art.), (reg.) nășasca (art.). (~ este un dans popular de nuntă.)

 

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