Nachtrag zu Hora spoitorilor – ein Ziegeunertanz?
Kurz nach Fertigstellung des Artikels stießen wir auf die Plattenhülle der LP mit unserer Hora spoitorilor („muzică populară muntenească și oltenească”, Electrecord EPE 0382). Dort steht zu dem Titel:
„Die erste Seite unserer LP endet mit der Hora spoitorilor, einem Tanz, der mit dem Mahala-Lied (cîntecul de mahala) am Beginn dieser LP verwandt ist. [Gemeint ist hier der Titel „Inimioara, inimioara”, dt. „Herzelein, Herzelein”.] Derartige Tänze sind charakteristisch für die zeitgenössische Folklore in den Städten Munteniens.”
Die Mahalá – ärmere Vorstadt, i.d.R. ethnisch homogen; der Begriff stammt aus dem Arabischen – spielt durch ihre wichtige Funktion bei der Identitätsbildung der verschiedenen Bevölkerungsgruppen auch in der Folklore Südosteuropas eine bedeutende Rolle. Diese Viertel besaßen innerhalb der Verwaltung des Osmanischen Reiches eine gewisse lokale Autonomie und zentrierten sich um Kirche, Moschee oder Synagoge sowie den zentralen Platz (maidan) mit dem Café.
Bezüglich Inimioara, inimioara, dem ersten Stück der LP, lesen wir zu den Liedern der Mahalále (Plural von Mahalá) mehr:
„Inimioara, inimioara gehört einer Kategorie von Liedern an, die offensichtlich mit der orientalischen Musik verwandt sind. Manchmal reich geschmückt, oft verziert mit Chromatismen (cromatisme) und leidenschaftlichen Intonationen und Modulationen, überlebten sie bis in unsere Zeit, insbesondere in den Randgebieten der Städte Munteniens. Anton Pann hat vor einem Jahrhundert in seinen berühmten Publikationen Lieder der Welt einige davon veröffentlicht und sie „Vorstadtlieder” (cîntece de mahala) genannt. Der vorliegende Liedtext spricht von einem traurigen und verbitterten Herzen.”
In der Musik ist mit Chromatik der Gebrauch von Halbtonschritten gemeint, in der traditionellen Musik ein charakteristisches Merkmal orientalischer Musikpraxis. Im Gegensatz zu den osmanisch besetzten ländlichen Gebieten, wo aus nahliegenden Gründen eine anti-türkische Grundhaltung vorherrschte, war es im Kulturleben vieler Stadtviertel um 1900 Mode, Anleihen aus der Musiktradition des Nahen Ostens zu machen.
Die Information, das Lied der Hora spoitorilor sei Stadtfolklore, ist für uns natürlich besonders wertvoll.
Bei den Begriffen „Stadtfolklore” und „Mahala” muss man immer diese orientalischen Chromatismen mitdenken, die die Hora spoitorilor auf ganz besonders hinreißende Weise in ihrem ersten Ton der Hauptmelodie – eine abfallende Reihe aus vier Tönen – geradezu kultiviert: Der Ton klingt gedehnt und beinahe etwas zu hoch, wehmütig, fast schmerzlich … (Hörprobe siehe den ersten Artikel zum Thema).
Der ironisch-spöttische Vers dazu konterkariert den Ernst der musikalischen Klage: Es ist bloß der Schnaps, der fehlt.
Die Unterscheidung Dorf – Stadt ist nicht nur für die Musik gültig. Auch die Tanzpraxis unterschied sich in der Stadtfolklore von der der Dörfer. Im Artikel über die Vranjanka steht etwas zu diesem Thema, mit weiterführenden Links.
Wir danken Laura Brinzan für ihre Hilfe bei der Übersetzung der rumänischen Texte.