Milanovo kolo: Woher kommt der?

Milanovo kolo gehört zu der frühen Generation von Folkloretänzen, die über die USA in den 50er und 60er Jahren zu uns gekommen sind. Die „Biographie” dieses Folkloretanzes bietet erhellende und beispielhafte Einsichten in die Ursprünge vieler unserer „alten” Folkloretänze.

Nachdem der deutsche Volkstanz vor 1945 für die Zwecke des Naziregimes politisch instrumentalisiert worden und dadurch für viele korrumpiert war, entstand das Bedürfnis nach Alternativen. Die Volkstänze anderer Länder eigneten sich dafür. Seit mehr als fünfzig Jahren bestand und wuchs damals schon in den USA eine weit verbreitete und äußerst lebendige Folkloretanzszene, aus der die ersten Tanzaktiven der Nachkriegszeit in Deutschland bis in die Sechziger Jahre schöpfen konnten. So fanden Tänze wie Milanovo kolo, „Kolo von Srem”, Corrido, Mayim-Mayim, Misirlou u.v.a. ihren Weg nach Deutschland. (Genauer: in die BRD, während in der DDR einerseits der deutsche Volkstanz weiter blühte und andererseits Tänze der „sozialistischen Bruderländer” aufgenommen wurden.)

Der Name dieses Tanzes bedeutet wörtlich „Milans kolo”. Milan ist ein männlicher Vorname. Nicht so banal klingt freilich die Deutung des Namens, wenn man dazu den serbischen König (1882 – 1889) Milan heranzieht, wie man es bar jeder Quellenangabe bei der US-amerikanischen Gruppe „Kolo Koalition” lesen kann. (Wir vermuten: der Bezug ist frei erfunden.) Mit „Kolo” werden serbische Kreistänze bezeichnet, ähnlich dem bulgarischen „Horo”.

Milanovo kolo ist eindeutig ein serbischer Tanz; seine Herkunft, d.h. sein Weg aus Serbien (?) in die USA liegt allerdings weitgehend im Nebel. Andrew Carnie attestiert ihm einen Ursprung in der städtischen Gesellschaftstanz-Kolo-Tradition („urban ballroom Kolo tradition”), womit angedeutet wird, daß der Tanz nicht aus der Tanztradition einer serbischen ländlichen Region stammt. Dokumentiert sind allerdings die beiden Tanzlehrer, denen die US-Folkloretanzszene den Milanovo kolo verdankt:

Crum unterrichtete ab 1952 die später als „östlich” bezeichnete Version, die er in der serbischen community in Pittsburgh gelernt hatte. Filcich folgte ab 1953 mit der „westlichen“ Variante, ursprünglich getanzt von Exilserben in der Gegend von San Francisco (1). Beide verwendeten anfänglich die schöne Aufnahme von George Skrbina und seinem Orchester (Stanchel 1011, Schellack, 78 rpm, vor 1953, hier anhören).

Auf seinem Weg nach Europa und in die hiesigen Folkloretanzkreise hat der Milanovo kolo offensichtlich noch weitere Abwandlungen erlitten, wie auf Youtube zu besichtigen ist.

Ivan Petar „John“ Filcich (Filčić) wurde 1924 in Fiume, heute Rijeka, geboren und kam mit acht Jahren in die USA. Mit elf begann er, sich für Folkloretänze Südosteuropas zu interessieren, nachdem sein Vater ihm ein Grammophon und einen Stapel Platten geschenkt hatte und mit 22 widmete er sich in Kalifornien mit großem Engagement den Tänzen Serbiens und Kroatiens. Mirjana Laušević bemerkt zu ihm als Gewährsmann für serbische Tänze:

„Da Filcich den ‚passenden’ ethnischen Hintergrund besaß, fragte man nicht nach seinen Quellen. […] Es wurde allgemein angenommen, daß er als ‚ethnischer Jugoslawe’ einfach all diese Tänze kannte. Filcich selbst erklärt jedoch: ‚im Gegensatz zur allgemeinen Überzeugung lernte ich die Kolos nicht in Jugoslawien oder sogar ‚dort im Osten’, sondern genau hier in der Bay Area [um San Francisco], teilweise von den paar Lehrern, die sie ungefähr kannten, teilweise von Leuten aus dem Osten, die dort leben, aber zum großen Teil durch ständige Forschung und stundenlanges Üben.’” (2)

Die ziemlich lückenlose Tanzdokumentation des jährlichen Stockton Folk Dance Camps verzeichnet ihn als Lehrer des Milanovo kolo mehrfach zwischen 1953 und 1970. (3)

Damit ist der Milanovo kolo ebenfalls einer von den Folkloretänzen, die wir der US-amerikanischen Freizeittanzszene verdanken, und nicht etwa einer geographisch und ethnologisch definierten Gegend irgendwo auf dem „Balkan”.

Die bei uns bekannteste Aufnahme wurde von Michael Herman (USA, Label „Folk Dancer”) vermutlich 1959 eingespielt. Bei Festival Records (J. Filcich) ist eine CD-Version dieser Aufnahme noch erhältlich. Der Walter-Kögler-Verlag brachte eine Lizenzpressung von Hermans 45er unter der Nummer 59707 heraus.

Milanovo kolo – Vers. Michael Herman, EP „Happy Folk Dances“, RCA Victor EPA 4129 (1959):

 

Eine auffallend schnelle und besonders uninspirierte Musikfassung stammt vom Dušan Radetić Folk Orchestra, LP „Serbian Folk Dance Classics“, Festival Records (1963), die Stephen Kotansky gerne verwendet.

Milanovo kolo – Vers. Dušan Radetić: 

 

Und schließlich ist bei Fidula (Fidulafon 1301, 1978) eine Einspielung erschienen, die sich jedoch hinsichtlich Arrangement und Verzierungen schon beträchtlich vom serbischen Original entfernt.


(1) Ron Houston: Folk Dance Problem Solver 1994, S. 23. Andrew Carnie beschreibt beide Versionen im Netz (folkdancemusings.bogspot.com); die „westliche” Version von Filcich steht auch bei Dick Oakes (phantomranch.net).

(2) Laušević, Mirjana: Balkan fascination (2007), S. 195:

„John Filcich, for example, is of Yougoslav [sic!] origin, but he got involved in Balkan dancing through the IFD scene after attending the ‚Oakland Festival’ on December 12, 1947. After six months or so of general folk dancing, his ‚complete attention began to center om kolos, having remembered them somewhat as a boy in Gary, Indiana.’ Since Filcich was of the ‚appropriate’ ethnic background, his sources were not questioned. As was the case with Beliajus and Herman, it was generally assumed that, as an ‚ethnic,’ he simply knew all these folk dances. Filcich himself explains, however, that ‚Contrary to popular belief, I did not learn them [kolos] in Yugoslavia, or even ‚back East‘, but right here in the Bay Area – partly from the few teachers who knew them somewhat, partly from Easterners living here, but to a large extent by continual research and hours of practice’ (Viltis Oct.-Nov. 1955/14).” 

(3) Stockton Folk Dance Camp Syllabi 1953, 1954, 1959, 1963 und 1970

 

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