Eine Willkommenskulturinitiative
Neulich wurde ich mit der folgenden Idee angesprochen: Wir – deutsche Folkloretänzer – sollten Flüchtlinge in ihrer Behelfsunterkunft besuchen und sie einladen, zusammen mit uns zu tanzen. Gemeint waren natürlich zunächst „unsere”, d.h. serbische, makedonische, rumänische, bulgarische, griechische Tänze. Das Motiv war zweifellos wohlmeinend und ehrenwert. Das Gefühl jedoch, hier blieb vor lauter Elan unbeachtet, daß da doch einiges knirscht, meldete sich bei mir sofort; und es verschwand nicht mehr.
1. Prämissen
Sowohl bei den Folkloretänzen als auch bei den Flüchtlingen spielt der Aspekt der Ethnien eine besondere Rolle. Bei den Flüchtlingen handelt es sich um Menschen sehr unterschiedlicher Herkunft, meist aus dem Nahen Osten bis aus Erithrea, Nord- und Westafrika. Sie sind vielfach traumatisiert durch die Fluchtgründe und die Flucht selbst, fern der Heimat, in einem fremden – unserem – Land, untergebracht in Behelfsunterkünften mit wenig Raum und wenig Privatsphäre.
Wir Folkloretänzer dagegen sind eine ethnisch homogene deutsche Gruppe; was wir den Flüchtlingen anbieten würden, wäre unser Repertoire an Tänzen aus verschiedenen Ländern, fremd für uns genauso wie für die Flüchtlinge.
2. Implikationen
Drei Gesichtspunkte sind hierbei von besonderem Belang und verdienen es m.E., obwohl sie auf der Hand liegen, nochmals ins Bewußtsein gerückt zu werden.
Unsere Folkloretänze gehören jeweils einer bestimmten ethnisch definierten Kulturtradition an. Obwohl sie landläufig unter dem Begriff „Balkan” zusammengefaßt werden, repräsentieren sie eine Vielfalt an Sprachen, historischen Überlieferungen, Mythen, sozialen Konventionen – ganz zu schweigen von ihren jeweils charakteristischen Ausprägungen der Melodien, Arrangements, Rhythmen und Tanzstilen. Dazu gehört auch der Brauch, Folkloretänze nur in bestimmten sozialen Situationen zu tanzen, nämlich bei Zusammenkünften aus familiären oder festlichen Anlässen, im Kontext von Geselligkeit, Erzählen, Singen, Essen und Trinken und dem Ansteigen des Stimmungspegels, was letztlich erst das Tanzen anfeuert, und nicht wie bei uns „auf Kommando”, nur weil jetzt Mittwoch 19:30 Uhr ist.
Die Menschen, die die hiesigen Behelfsunkterkünfte bewohnen, sind sozialisiert und geprägt durch ihre jeweils spezifische Kulturtradition – die öffentliche Debatte der vergangenen Monate macht das mehr als deutlich; ihre Identität definiert sich in hohem Maße durch die Traditionen ihres Herkunftslandes. Kulturelle Ausdrucksformen wie Gesang, Musik und Tanz sind durch diese vorgegeben und mit Wertvorstellungen besetzt – und sie transportieren diese Werte. In den von Traditionen in hohem Maße geprägten Ländern ist die Einheit von Identität und Kultur ungebrochen. Ein deutlich sichtbares Beispiel dafür geben türkische Gruppen auf Festivals: Sie treten mit Staatsemblem und Flagge auf. Die Sensibilität für „eigene” und „fremde” Tänze ist da besonders ausgeprägt.
Westliche Folkloretänzer dagegen treten durch ihre Tanzpraxis aus ihrer angestammten Kultur und Identität heraus, betreten „fremdes” Terrain; ein solcher Identitätswechsel, die Ablösung von der eigenen ererbten Kultur ist ein relativ neues Phänomen moderner Gesellschaften (Westeuropa, Nordamerika, Japan, Australien) (1). Daß wir Deutsche bulgarische Tänze tanzen – und uns dazu womöglich entsprechend verkleiden – ist ja nicht „normal”. Um dieses Unnormale, ja vielleicht Abwegige zu illustrieren, wird gerne das vermeintlich erfundene Bild von Japanern in Lederhosen, bayrische Tänze tanzend, angeführt. Nur: die gibt es tatsächlich! Dagegen konnte eine meiner Tanzfreundinnen, leidenschaftliche Besucherin ungarischer Tanzhäuser, ihren bulgarischen Ehemann nicht dazu bewegen, mit ihr Csárdás zu tanzen: „Ein Bulgare tanzt bulgarisch, nicht ungarisch.” Gewiß, es gibt auch Gegenbeispiele; was das „Eigene” und was das „Fremde” ist, wird hier trotzdem deutlich. Offen für Fremdes und für die Mitwirkung an „fremder” Kulturpraxis sind eher Menschen, die bereits weitgehend in die moderne, internationale, offene Großstadtkultur integriert sind. Bei Menschen, die noch stark an die Traditionen ihres Herkunftslandes gebunden sind, können wir damit eher nicht rechnen.
3. Konsequenzen
Wenn wir nun Flüchtlinge in unserer Stadt zum Folkloretanzen einladen, fordern wir sie zur Teilnahme an einer Kulturpraxis auf, die weder mit ihnen noch mit uns etwas zu tun hat; wie Deutsche auf die Idee kommen, bulgarische Tänze zu tanzen, müßte man einem Syrer erst einmal verständlich zu machen versuchen. Was passiert, wenn wir hinkommen, unser Gerät aufstellen, die (serbische, griechische, makedonische …) Musik anstellen und, mit einladenden Gesten, anfangen zu tanzen? Ich vermute, die Iraker, Marokkaner, Kenianer, die Eritreerinnen und die Kurdinnen stehen am Rande, schauen zu und fragen sich, was das hier werden soll.
Oder es gelingt, den Flüchtlingen verständlich zu machen, daß wir meinen, sie sollten „einfach irgendwas“ mit uns tanzen, egal was. Warum dann ethnisch definierte, fremde Tänze und nicht „internationale“ moderne, oder, da wir ja Deutsche sind, deutsche Tänze? Und warum geben wir dabei anderen Tanztraditionen den Vorzug statt ihrer, der nahöstlichen oder afrikanischen? Letzteres – deutsche oder syrische Tänze – würde wenigstens ein wenig Sinn haben. All dies scheint mir doch ein bißchen viel Integration verlangt von Leuten, die gerade mal ein paar Wochen oder Monate hier sind, im fremden Deutschland, in Wohncontainern Tür an Tür mit Leuten aus anderen fremden Ländern. Und zum Glück für uns unbedarfte Folkloretänzer kommen sie von weit außerhalb der Zone, aus der unsere Tänze stammen. Nur ein Beispiel: Nicht auszudenken, was wir womöglich mit einem serbischen Tanz bei albanischen Teilnehmern, frisch aus dem Krisengebiet vor Waffengewalt und Willkür geflohen, auslösen würden; „Kosovo je srce Srbije!” – das Kosovo ist das Herz Serbiens! -, von jungen serbischen Männern in Novi Sad im Chor gebrüllt, klingt mir noch im Ohr.
(1) Eine detaillierte Studie zu dieser Thematik liefert Laušević, Mirjana: Balkan Fascination: Creating an Alternative Music Culture in America (2015)
Zum Tanzen mit Flüchtlingen:
da hast Du ein wichtiges Thema angeschnitten, total aktuell auch bei uns in L. Hier unternimmt B. sehr viel, aber natürlich holt sie die Syrer, Afghanen, viele Kurden, dort ab, wo sie herkommen und lässt sich erst mal deren Tänze zeigen. Dann vermittelt sie in ihren Tanzgruppen den Dabke, Sheikhani und Ähnliches, macht total Spaß. Und sie holt auch ab und zu Flüchtlingsjungs in die Tanzgruppen hinein, und da versuchen wir dann gemeinsam deren Tänze zu tanzen, aber auch sowas wie Chapelloise und Ähnliches. Macht den Flüchtlingen auch Spaß!
Und vor kurzem haben wir an einem lauen Sommerabend auf unserem großen Marktplatz getanzt, und just kammen ein paar Jungs her und haben mitgetanzt, Syrisches, Mixer, alles kreuz und quer.
Meine Fragen sind dann natürlich:
Was sind deutsche Tänze? Das fragen die Flüchtlingsjungs natürlich! Und ich habe Lust bekommen, mal einen Kurs mit „deutschen“ Tänzen mitzumachen. Aber wo gibt es denn sowas? Außer im Trachtenverein?
Dann sehen wir natürlich nur den Männerstil bei diesen arabischen Tänzen. Die Frauen fehlen, es gibt natürlich sehr wenige, man muss sie suchen, und sie tanzen natürlich anders, kleiner und feiner. Das wäre noch eine Aufgabe für mich!
Und, ehrlich gesagt, kommt es mir manchmal schon ein wenig seltsam vor, wenn syrische Jungs und „mittelalterliche” deutsche Frauen miteinander tanzen … ja, wo sind die deutschen Männer?