„Das ist ein anderes Dorf!“
Zehn Tips zur Vorbereitung und für den Unterricht
Wem ein „tanzpädagogisches Verantwortungsbewusstsein” nicht völlig wurscht ist, der oder die wird ein paar Grundsätze möglicherweise intuitiv beachten. Damit das nicht dem Zufall überlassen bleibt, erlaube ich mir, sie hier zusammenzustellen. Einem Tanzlehrer mit fünfzig Jahren Erfahrung wird man dies vielleicht verzeihen. Das Folgende richtete sich ursprünglich an eine Tanzleiterin, die sich noch nicht zu den „Alten Hasen” zählt. Aber auch erfahrene Tanzleiterinnen (und auch Tanzleiter …) finden hier möglicherweise ein paar Anregungen.
Erstens: Meisterschaft
Ganz wichtig, ist es, die Tänze hundertprozentig zu beherrschen (besser: hundertzwanzigprozentig), wie man sagt: „im Schlaf”, so, dass du in jeder Sekunde, bei jedem einzelnen Schritt ganz genau weißt, was du tust und wo du bist. Und was als nächstes kommt.
Das soll dir keine Angst machen; es geht einfach darum, dass du dein Programm schon so oft getanzt hast, dass keinerlei Unsicherheiten mehr bestehen. Das gibt dir selbst Sicherheit. Mir hat auch immer geholfen, kurz vorher alle Tänze nochmal durchzutanzen. Ja: auch Tänze, die ich schon seit Ewigkeiten kenne – gerade die!
Ich kann nur davor warnen, einen Tanz, den man erst kürzlich kennengelernt hat, der aber „sooo toll!” ist, ins Unterrichtsprogramm aufzunehmen. Erst mal üben. Und üben … bis er wirklich sitzt, s.o.
Zweitens: Das Programm
Wie soll ich die Tänze für meinen Unterricht zusammenstellen? Erstens: Wie gesagt, nur solche, die du beherrschst. Und vielleicht ist es überflüssig zu empfehlen, dass du Tänze wählst, die du liebst. Das ist deshalb wichtig, weil du, wenn du von deinen Tänzen überzeugt bist, auch als Lehrer überzeugst. Außerdem überträgt sich deine Begeisterung auf die Teilnehmerinnen (auf die Teilnehmer auch). Alle spüren: Das hier ist super (oder „cool” oder „geil”, je nach Alter). Aber Vorsicht: Dein Ehrgeiz deckt sich nicht unbedingt mit dem der Tänzer und Tänzerinnen.
Nimm mehr als du brauchst. Dann hast du Spielraum zu reagieren, wenn es flotter geht als erwartet oder wenn Schwierigkeiten auftauchen. Zu meiner Überraschung wurde ich in einem Kurs um die Wiederholung eines bestimmten, sehr einfachen Tanzes gebeten – das war doch nur ein Pausenfüller! Den hatte ich nicht ernst gemeint! Der hatte meinen Teilnehmern aber besonders gefallen, vielleicht weil er so unanstrengend war. So kann man sich täuschen.
Und drittens, das ergibt sich daraus, nimm unterschiedliche Schwierigkeitsgrade. Deine Teilnehmer sind auch unterschiedlich – in ihren Vorkenntnissen. Das kann man auch offen ansprechen: Jetzt ist das Niveau 3 dran, Niveau 2 (oder 1) kommt nachher wieder zum Zug. Und bei einfachen Tänzen können (fast) alle sich wieder entspannen. Solche nicht fordernden Tänze eignen sich auch als Einstieg; lass’ alle erst mal ankommen.
Drittens: Das Musikmaterial
Was hören Tänzerinnen und Tänzer lieber: gute oder schlechte Aufnahmen? Klar, die Frage ist überflüssig, aber der Punkt ist: Neben deiner sorgfältigen Vorbereitung und Didaktik macht auch gutes Musikmaterial – ansprechend arrangierte Aufnahmen in guter Tonqualität, das meine ich mit „gut” – deinen Unterricht zu einem Erlebnis für sie. Und umso lieber werden sie später deine Tänze weiter tanzen. Man hat allerdings nicht immer die Wahl; gelegentlich kommt man um eine verrauschte alte Aufnahme nicht herum, wenn man speziell diese haben möchte – da läßt sich vielleicht mit entsprechender Software etwas bereinigen.
Viertens: Unterrichtstempo
Im Unterricht langsam vorgehen. Die Tänze zerlegen in „mundgerechte Häppchen”; die werden wiederholt, achtmal oder öfter. Viele Teilnehmer sind dankbar, dass sie genug Zeit haben, sich an eine ungewohnte Schrittfolge zu gewöhnen. Immer hingucken: sind die Tänzer soweit? Wenn sie 80 % erreicht haben, ist es gut. 100 % zu wollen, ist ungesund, das gilt für alles im Leben.
Und erfahrenen Tänzern tut es auch gut, Tänze, die sie schon kennen, nochmal zu üben. Ich habe selbst oft gestaunt, was für Details ich dabei noch entdeckt habe. Oder Schlampereien, die sich mit der Zeit eingeschlichen haben.
Dann kombiniert man die „Häppchen”: Teil C mit Teil D – 8 Wiederholungen – dann Teil B+C+D am Stück auch nochmal wiederholen usw. Dabei gilt: Besser zehn Minuten praktisches Üben statt zehn Minuten wortreiches Erklären.
Und auch die „fertigen” Tänze später nochmal wiederholen. Und später nochmal wiederholen …
Fünftens: Du bist der Boss!
Es gibt immer Teilnehmer oder Teilnehmerinnen mit vielen, manchmal abweichenden Vorkenntnissen, und solche, die ausgerechnet diesen Tanz schon anderswo aber ganz anders gelernt haben. Das spielt überhaupt keine Rolle! Es gilt der bewährte Grundsatz: „Wer unterrichtet, hat das Sagen, alle anderen halten die Klappe!” Hier wird jetzt deine Version gelernt und geübt. (Selbstverständlich dürfen Teilnehmer sich zu Wort melden – aber erst nach dem Unterricht.) Das bedeutet aber für dich nicht, dass du freie Hand hast für alles mögliche, sondern: Legst du für deine Version die Hand ins Feuer? Im Zweifel nochmal nachgucken in den Quellen, auf die du dich berufst. Misstraue dir selbst! (Ich habe selbst oft gestaunt über erhebliche Unterschiede zwischen „meinen” seit Jahren so getanzten Tänzen und den einschlägigen Tanzbeschreibungen.)
In der Tat gibt es in der Folkloretanzszene unterschiedliche Versionen von Tänzen, die denselben Namen haben. Die Ursachen sind vielfältig; meist entstehen diese „Varianten” wie bei der „Stillen Post”. Koexistierende Varianten gibt es sogar in den Ländern, wo sie herstammen; „das ist ein anderes Dorf”, sagt man dann demjenigen, der sich über den Unterschied wundert.
(Und für die vorlauten Besserwisser legt man sich am besten rechtzeitig eine Erwiderung zurecht, z.B. ganz kurz, aber lächelnd: „Ja, kann sein, aber jetzt tanzen wir das so, wie ich es zeige.”)
Sechstens: Entspannung
Mach‘ dich locker! Bei einer Lehrerin, die entspannt und humorvoll unterrichtet, lernt man gern. Noch besser: Wenn sie sich mal vertut und sich dann lachend (!) entschuldigt. Ein Lehrer, der Fehler macht, entlastet die Schüler: Der ist auch nur ein Mensch! Souverän einen Irrtum einzugestehen und zu korrigieren, ist ein Zeichen von nicht nur fachlicher, sondern auch pädagogischer Kompetenz. Und hier und da ein Späßchen nimmt auch den Teilnehmerinnen die Anspannung. Sie werden es dir danken.
Siebtens: Schönheit
Die Teilnehmer daran erinnern, dass es beim Tanz auch um Ästhetik geht; dass sie ihrer Schönheit im Tanzen Aufmerksamkeit widmen sollten, zum Beispiel ihrer Haltung. Das bedeutet auch, dass ihre Ausführung der Tanzbewegungen schön sein soll – und nicht geschludert! Und als Kompliment: Dass sie schön sind. Eine meiner fundamentalsten Entdeckungen beim Folkloretanz war, daß alle, sogar auch die Männer, beim Tanzen schön sind – wenn sie schön tanzen.
Achtens: Leise bleiben
Schone deine Stimme. Je größer die Gruppe, desto stärker die Neigung, mit der Nachbarin zu schwätzen. Versuche nicht, sie zu übertönen, denn da sie dir gerade nicht zuhören, ist deine Rede nur Hintergrundgeräusch und sie werden einfach lauter. Du dann auch? Bis du heiser wirst? Besser, du tust das genaue Gegenteil: Bleib stehen, schaue sie freundlich an, sage gar nichts und warte, bis ihnen auffällt, dass „die Show” stoppt. Du kannst sicher sein, dass es jemand irgendwann merkt. Wenn sie dann still sind, kannst du, ohne lauter zu werden, dich bedanken und weiter sprechen.
Je nach Akustik des Tanzraums ist es angebracht, laut genug zu sprechen – aber nicht, um die Privatgespräche zu übertönen!
Da das Redebedürfnis in der Regel groß ist – man hat sich lange nicht gesehen – kann das eben Beschriebene mehrfach geschehen. Dann ist vielleicht auch mal ein freundlicher Hinweis darauf nötig, dass man doch hier zusammengekommen ist, um Tänze zu lernen (und dass Rücksicht und Respekt etwas sehr Angenehmes sind …).
Neuntens: die Geräte
Last, but not least: die Technik! Eine schlecht funktionierende Tonanlage bringt den besten Lehrer aus dem Konzept! Sie soll dienen und nicht dominieren. Ist die Anlage laut genug und klingt trotzdem noch gut? Das muss natürlich rechtzeitig vor Beginn des Unterrichts sichergestellt und notfalls in Ordnung gebracht werden, bevor die ersten Teilnehmer eintreffen. Der Veranstalter ist dafür zuständig. Und am besten hat man sein Programm zusammen auf einem Tonträger (oder einer „Playlist”). Das erspart nervenzerrendes Suchen (vgl. oben: Entspannung!).
Zehntens: Bammel?
Der Rollenwechsel von der Teilnehmerin zur Leiterin macht dir vielleicht zu schaffen. Ein gewisses „mulmiges Gefühl” jetzt gleich anstatt in der Reihe vor der Reihe stehen zu sollen, Ansagen zu machen? Dagegen habe ich leider kein Rezept und auch nur einen Rat: sehr gut vorbereitet zu sein in allen Punkten, siehe oben. Ein Geständnis wird dich vielleicht entlasten: Bei mir hat das Lampenfieber vor dem Unterricht nie aufgehört. Nie. In all den vielen Jahren nicht.
So. Da ist alles leicht gesagt … Vielleicht weißt du das alles schon, vielleicht hilft es dir aber auch, deinen Unterricht gut zu machen. Und zu guter Letzt: Lass’ deine Tänzerinnen und Tänzer „nicht dumm sterben”! Was meine ich damit? Lies mal hier: Ethnomusik: Tirili und Tralala!
Nachtrag: die Assistentin
Wer einen Tanz anführt, übernimmt eine Rolle mit einer gewissen Verantwortung für das Gelingen – jedenfalls in unseren Kreisen, wo viele mitmachen, die die Tänze noch nicht oder noch nicht gut kennen. Der oder die Anführer/in der Reihe muss sich stärker konzentrieren als andere. Er/sie muss ja jederzeit wissen, was er jetzt gerade tut und was als nächstes, ggf. ein Zeichen geben für den Wechsel zur nächsten Figur – und zwar rechtzeitig vor dem Wechsel. Das sind ziemlich hohe Anforderungen, zu denen möglichst keine weiteren hinzukommen sollen, z.B. sich gegen Hand- oder Fußbewegungen des Tänzers oder der Tänzerin auf Platz zwei durchzusetzen, die den Tanz noch nicht beherrscht … Was dann passieren kann, wird sich jeder ausmalen.
Es ist also für den ersten Tänzer von großer Bedeutung, wer auf Platz zwei tanzt. Er sucht sich dafür am besten einen „Assistenten“, der den Tanz möglichst schon kennt oder wenigstens eine schnelle, präzise Auffassungsgabe besitzt.
Und wer bereits in der Reihe vorn steht und dann jemanden „vor die Nase gesetzt“ bekommt, weiß jetzt, dass das keine Unverschämtheit ist, sondern eine Notwendigkeit, eine Maßnahme, um die Aufgabe des Anführers zu sichern.