Über eine Mîndrele-Aufnahme des Orchesters Ion Albeșteanu auf Electrecord (ST-EPE 01734 – Jocuri populare Românesti, discul nr. 4 – Oltenia – Gorj, 1982) und über den dazugehörigen Tanz gibt es widersprüchliche Informationen. Es ist dieselbe Aufnahme, die Mihai und Alexandru David für ihre Mîndrele-Variante verwendet haben. Weitere Tracks dieser offensichtlich beliebten LP haben auch Theodor Vasilescu und Silviu Ciuciumiș verwendet.
Frage: 5/8 oder 6/8?
Auf dem Umschlag der LP ist vermerkt, dass die Aufnahme Nr. 4 – Mîndrele – aus Bîrca, einer Gemeinde im Kreis (județ) Dolj, kommt. Die Musik wird im 6/8-Takt im Rhythmus 1+1+1+2+1 (mit Auftakt) gespielt. Von Constantin Costea (1), einem rumänischen Tänzer und Ethnochoreologen, der auch den Begleittext auf der LP-Hülle verfasst hat, existiert eine handschriftliche Tanzbeschreibung, überschrieben mit
„JOCURI POPULARE ROMÎNEȘTI – DISC NR. 4 – DOLJ
MINDRELE (4)
GIUBEGA – DOLJ
5/16 (♪ ♪.)“
Zu der Mîndrele-Aufnahme der LP aus Bîrca (Dolj) im 6/8-Takt beschreibt Costea also eine Mîndrele aus Giubega (Dolj) im 5/8-Takt. (2) Wie sind diese Widersprüche zu verstehen?
Da die Gemeinden Bîrca und Giubega im Landkreis Dolj kaum 40 km Luftlinie voneinander entfernt liegen, sollte u.E. die unterschiedliche Herkunftsangabe kein Problem darstellen; die auf der LP veröffentlichte Musik Mîndrele stammt aus Bîrca (Dolj), der Tanz Mîndrele, den Costea dieser Musik zuordnet, stammt aus Giubega (Dolj).
Die unterschiedlichen Takte von Musik und Tanz könnten dagegen schon eher irritieren. Der von C. Costea notierte 5/16-Takt besteht aus zwei ungleichen Teilen im Verhältnis 2:3 – ein „ungerader“ Takt, genannt „aksak“, wie wir ihn vom bulgarischen Pajduško her kennen. Der 6/8-Takt teilt sich in zwei 3/8-Teile, deren ungleiche Pulsationen (z.B. ♪ ♪ ♪ ♩ ♪ ) im Verhältnis 1:2 stehen.
Allerdings repräsentieren beide Taktarten den Rhythmus „kurz-lang“. C. Costea könnte gefunden haben, dass seine Mîndrele aus Giubega zur der Musik der Mîndrele aus Bîrca passt. Seine Beschreibung kann man mühelos auf die Musik der LP Electrecord ST-EPE 01734 tanzen. Im Begleittext zur LP schreibt er:
„Der ursprüngliche asymmetrische Rhythmus von 5/16 (♪ ♪.) verwandelt sich allmählich in 3/8 (♪ ♩).“ (3) Auch Anca Giurchescu berichtet, dass die Musiker vom ursprünglichen aksak-Rhythmus (5/8) zu einem moderneren ternären Rhythmus (6/8) gewechselt sind – wir haben darüber in unserem Pajduško-Artikel geschrieben. Der 6/8-Takt kann insofern als „ternär“ (dreigeteilt) aufgefasst werden, als er aus 3/8-Teilen zusammengesetzt ist.
Antwort: „kurz-lang“
Während A. Giurchescu lediglich einen Wechsel der Taktarten feststellt, gehen andere Ethnomusikologen einen Schritt weiter. Sie stellen die Wiedergabe der ungeraden Takte durch exakte Achtel- oder Sechzehntel-Formeln (5/8, 9/8, 10/16, 11/16 usw.) überhaupt in Frage (4). Ihre Mikroanalysen von zahlreichen Aufnahmen und deren Tausenden von Takten ergeben kein exaktes Verhältnis von zwei (♪) zu drei (♪.); die langen Pulsationen haben nicht unbedingt 1,5mal die Länge der kurzen (eher nicht!), so dass in unserem Beispiel „5/8“ (2:3 oder 1:1,5) und „6/8“ (1:2) nur die zwei Enden eines Kontinuums der Spielpraxis darstellen; die Realität liegt jeweils irgendwo dazwischen. Ein Streit über den „richtigen“ Takt ist daher müßig. István Pávai bringt es auf den einfachen Satz „… Die grundlegende metrische Einheit ist nicht die 1/8-Note oder 1/16-Note, sondern der Viertelnotenwert, geteilt in zwei verschiedene, abwechselnde Längen.“ (5). Dass wir in den Noten und Tanzbeschreibungen überhaupt Taktangaben vorfinden, liegt einfach daran, dass das Notationssystem nichts anderes oder gar besseres anbietet, was der lebendigen Musik gerecht würde. Der Rhythmus „kurz-lang“ kann in 5/8 oder 6/8 beschrieben werden, und was genau „kurz“ und „lang“ bedeutet, hängt letztlich davon ab, was (die Musiker spielen und) der Tänzer und die Tänzerin hören.
Stampfen oder hüpfen?
Eine weitere Auffälligkeit sehen wir in C. Costeas Tanzbeschreibung: Stampfer auf den Taktschlag 1, genau dort, wo andere Versionen des Tanzes einen Hüpfer auf dem Standbein haben (6). Auch dies scheint ein vernachlässigbares Detail zu sein. Denn wenn wir bei Costea die Stampfer durch Hüpfer oder Feger ersetzen, haben wir einen Tanz, der sich fast nicht mehr von dem unterscheidet, den Mihai David zu derselben Musik vermittelt hat (7) und dessen Figuren denen anderer Varianten der Rustem-Familie (darunter die diversen Mîndrele) gleichen.
Was wir an diesem Beispiel (wieder einmal!) erkennen können, ist die Beweglichkeit und Wandelbarkeit der lebendigen Folklore, die mit unseren beschränkten Mitteln der schriftlichen Aufzeichnung immer nur unzureichend erfasst werden kann. Für uns Praktiker bedeutet das: Fünfe grad sein und die Kirche im Dorf lassen!
Wir danken Radboud Koop für wertvolle Informationen und Hinweise.
(1) Siehe Jacques Loneux: Rumänien – ein Land und seine Tänze (1995) Seite 7.
(2) Ob man Achtel oder Sechzehntel schreibt, ist innerhalb gewisser Grenzen ganz offensichtlich eine Frage der individuellen Entscheidung oder auch der Konvention. Das Thema haben wir in unserem Artikel „Zwei Viertel“ erörtert.
(3) „Ritmul, la origine, asimetric de 5/16 (f) a inceput să se transforme in 3/8 (g).“
(4) Goldberg, London, Green, Pavai. Siehe auch ein-merkwuerdiger-rhythmus-4-3 und Herwig Milde: Die_bulgarische_Tanzfolklore, PDF-Ausgabe S. 74, Fußnote 66.
(5) „… the basic metrical unit is not the 1/8th-note or 1/16th-note but the 1/4th-note value in two different, alternating, lengths.“ István Pávai: Hungarian Folk Dance Music of Transylvania, Budapest 2020, S. 247.
(6) Tanzbeschreibung: Mîndrele_CCo.pdf
(7) Tanzbeschreibung: Mindrele_AMD.pdf