Švrljig und Svrljig

– ein feiner, aber bedeutsamer Unterschied

Pčinjski švrljig aus Pčinja und Svrljiski čačak aus Svrljig: Haben wir hier eine unkorrekte Schreibweise – „Svrljiski” mit „S” statt „Š”? Das wäre ja nichts Neues, daß die diakritischen Zeichen bei Wörtern aus slawischen Sprachen einfach weggelassen werden. Bei gründlicher Recherche stellt sich jedoch heraus, daß tatsächlich korrekt „švrljig” und „Svrljig” geschrieben werden muß. Und die beiden Wörter klingen ja auch verschieden: „schwrljig” und „swrljig”. 

Da wollen wir natürlich wissen, was hinter diesen beiden so ähnlichen Bezeichnungen steckt: Was bedeuten sie? 

Namen und Wörter

Beim Svrljiski čačak ist die Sache ziemlich einfach. Der Tanz heißt so, weil er aus der Gegend von Svrljig, einer Stadt im Kreis Nišava, 30 km von Niš, kommt. Vom Namen „Svrljig” ist das Adjektiv „svrljiski” abgeleitet. Also bedeutet der Tanzname „Čačak aus Svrljig”. 

Das Wort „švrljig” (kyr. шврљиг) bereitet erheblich mehr Schwierigkeiten. Außer im Zusammenhang mit dem Folkloretanz Švrljig findet sich weder irgendwo dieses Wort noch etwa ein Hinweis auf seine Bedeutung. Online-Wörterbücher und -Übersetzer lassen uns da im Stich. Lediglich ein sehr altes serbisches Wörterbuch (1) enthält den Eintrag švrljati (kyr. шврљати): herumschlendern. Das könnte passen, da wir ja einen Tanznamen mit ähnlicher Bedeutung bereits kennen: Šetnja, der „Spaziertanz” (šetnja = spazieren gehen). 

Von einem Ortsnamen abgeleitet kann švrljig jedenfalls nicht sein, denn der Zusatz „Pčinjski” enthält bereits die Ortsangabe. 

Glücklicherweise gibt es in der Folkloretanzszene Gewährsleute (so heißen Leute, die zuverlässige Auskunft geben können), die etwas dazu sagen können. So bestätigt uns Alexander Marković (2) die Vermutung, daß der Name švrljig wahrscheinlich von švrljati kommt, womit eine schlängelnde Raumbewegung bezeichnet wird; tatsächlich haben laut A. Marković die Tanzschritte der Morava-Ebene und um Vranje bis in die Gegend von Pčinja viele „geflochtene”, gekreuzte und Hin-und-her-Bewegungen. (3)

Soviel zur Bedeutung der Namen. 

Zwei Tanztypen

Was die Tänze und ihre Figuren betrifft, haben wir es hier mit zwei verschiedenen Tanztypen mit unterschiedlichem Tempo und Rhythmus zu tun.

Švrljig ist, wie gesagt, gekennzeichnet durch schlängelnde Raumbewegungen, Kreuzschritte und Richtungswechsel. Der Pčinjski švrljig besitzt ein moderates Tempo von ♩ = 116 (4), der Vranjski švrljig ist dagegen deutlich schneller (♩ = 140) (5). 

Weitaus schneller ist der Čačak, der sich im Tempo von ♩ = 138 bis 192 steigern kann (6). Die Tanzschritte der Grundfigur des Čačak bewegen sich dagegen im Bereich von Vierteln und Halben, sind also halb so schnell. Wenn allerdings Varianten im Achteltempo getanzt werden, forden sie dem Tänzer einiges an Beweglichkeit und Sportlichkeit ab. 

A. Marković schreibt ferner, daß die Einwohner der Gegenden von Vranje und Pčinja den Švrljig ausdrücklich vom Čačak unterscheiden. Der Švrljig habe eine spezifische Melodie, die nur zu diesem Tanz gespielt wird, während der Čačak zu unterschiedichen Melodien getanzt wird. Bei diesem gehen die Tanzfiguren generell über 10 Takte, während die Musikphrasen jeweils acht Takte lang sind (Nonkonkordanz). (7)

Rhythmusbeispiele der Tanzschritte: 

Pčinjski švrljig (8):
♪♪|♪♪|♪♪|♪♪|
♩ ♩ |♪♪|♩ ♩ |♪♪|

Čačak
♩♩|♩♩|♩-|♩-|♩-|♩♩|♩-|♩-|♩♩|♩-|
♪♪|♪♪|♪♪|♪♪| … 

Übrigens … 

Hier haben wir ein sehr schönes Beispiel dafür, daß die „diakritischen Zeichen”, d.h. die „Häkchen”, Akzente und Kommas über und unter den Buchstaben, wie wir sie oft in südosteuropäischen Tanznamen antreffen, durchaus nicht belanglos sind. (Beispiele: Gružanka, Murguleţul, Šokačko kolo usw., siehe auch hier: http://herwigmilde.de/TB_pdf/_TB_Erl.pdf: Aussprache) Sie machen nicht nur in der Aussprache einen erheblichen Unterschied – sie helfen gelegentlich auch, zwei völlig verschiedene Dinge voneinander zu unterscheiden. 

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(1) Georg Popović: Wörterbuch der serbischen und deutschen Sprache, 1881

(2) Alexander Marković, Ph.D., Department of Anthropology, University of Illinois-Chicago, Mail vom 13.04.2020

(3) „I believe the name does come from the verb švrljati, which can imply more a sense of meandering, moving in a non-linear and thus potentially back and forth, tangled up path. The dance steps in the area of the Morava plain around Vranje, and further south in the Pčinja district, involve a lot of „plaiting“ of the feet (with one of the feet crossing the weight bearing foot while moving in line of direction); also, the dance moves to the right and then back to the left, and when danced at a quick tempo contribute to the feel of moving back and forth in rapid succession.“

(4) Pčinjski švrljig, folkloretanznoten.de

(5) Vranjski švrljig folkloretanznoten.de und youtube.com, Švrljig-2 youtube.com und Švrljig-3 youtube.com

(6) Gnjilanski čačak, folkloretanznoten.de, Gnjilanski čačak youtube.com: ♩ = 174 und Kolo Čačak youtube.com: ♩ = 176

(7) „Locals do not refer to it as a čačak, which is a 10 measure dance in these regions; the Švrljig (Švrljiško, Švrljak) tune is specific and only accompanies this dance, which they see as a distinct form from čačak. Locals dance čačak to a variety of other melodies.”

(8) Eine Tanzbeschreibung zu Pčinjski švrljig nach Vladimir Tanasijević steht auf herwigmilde.de.