Moja Diridika

– ein Volkstanz, so heißt es, aus dem in Folkloretanzkreisen leider nur schwach vertretenen Kroatien. Es ist einer der ältesten Tänze in unserem Repertoire; mir ist er bekannt seit 1970 aus den USA, wo ich ihn im Folk Dance Club des MIT in Cambridge/Massachusetts kennenlernte. Wir haben ihn hier in den Siebzigern gerne getanzt und immer gedacht, es sei ein kroatischer Volkstanz. Dazu trug sicherlich die für Volksmusikaufnahmen dieser Zeit aus Südosteuropa typische Klangqualität der Aufnahme mit dem Ensemble KUD Joža Vlahović bei, die wir dazu benutzten – mit Lautstärkeschwankungen und etwas verwaschenem, leicht übersteuertem Chorteil.  Das klang „sehr echt” …

Hörprobe Moja Diridika mit KUD Joža Vlahović aus der LP „Pjesme naroda Jugoslavije“, Jugoton LPY-V-56 (1960)

Dasselbe Ensemble KUD Joža Vlahović hat 1973  auf der LP „Folklorni Koncert” (Jugoton LPY-S-60974) eine schnellere Aufnahme mit besserem Ton veröffentlicht. Der Arrangeur dieser Aufnahmen, Emil Cossetto, schreibt auf seinem Notensatz zur Herkunft: „Šokadija (Istočna Slavonija; Srijem, Bačka)”; mit „Šokadija” ist die historische Landschaft im Grenzgebiet von Ost-Kroatien und NW-Serbien gemeint (das kroatische Slawonien und die serbischen Bezirke Srem und Batschka), in dem die südslawische Bevölkerungsgruppe der Schokatzen siedelt. 

Das früheste auffindbare Dokument von Moja Diridika ist eine Tanzbeschreibung von 1963, die sich auf Dick Crum beruft, aber nichts darüber aussagt, woher der Amerikaner den Tanz „aus Kroatien” hat. Ron Houston bemerkt dazu, daß Dick Crum seine Quellen sonst immer genannt hat – nur hier nicht. Dazu gibt die SFDH Encyclopedia den interessanten Hinweis, daß neue kroatische Tänze daran zu erkennen seien, daß sie aus mehr als zwei Teilen bestehen; unsere Moja Diridika besteht aus drei Teilen: A – B – A – C, siehe Tanzbeschreibung auf herwigmilde.de. (1)

Das Figurenrepertoire dieses Tanzes besteht aus den typischen kroatischen gehüpften Vor- und Rückkreuzschritten („Weinrebe”, engl. „grapevine”), „Rida”-Schritten (seitliche Vorkreuzschritte im Plié) und „Drmeš”-Schritten am Platz mit ihrem ausgeprägten vertikalen „Schütteln”, das den ganzen Körper erfaßt.

Mit ihrer Entstehungsgechichte scheint Moja Diridika sich in die erstaunliche Reihe beliebter „südosteuropäischer Folkloretänze” einzureihen, deren Ursprung tatsächlich jedoch in Nordamerika zu finden ist: Ajde Jano, Džumbuš, Kostursko, Milanovo kolo, Misirlou, … 

Noten, Text und Übersetzung sind auf folkloretanznoten.de zu finden. Im Text dieses humoristischen Liedes erzählt eine junge Frau von ihrem Liebsten, der mit den Ochsen pflügt und sie zum Abendessen einlädt; sie lehnt ab mit der Begründung, sie habe bereits gegessen, fügt aber hinzu, ein Bauchgrimmen quäle sie wegen der Kartoffeln mit Lauchzwiebeln – nicht unähnlich dem Tanzlied Ajde lepa Maro, das uns die hübsche Mara vorstellt, die mehrfach zum kranken Herrn gerufen wird und jedes Mal erwidert, er könne sich selbst helfen, sie könne jedenfalls den Kolo nicht verlassen. Und – wie soll ich es politisch korrekt ausdrücken? – die stotternde Silbenwiederholung („ore na vol-vol-volove” u.ä.) als konstitutives Element der poetischen Rhetorik des Scherzliedes Moja Diridika verstärkt obendrein seine Komik. (2) Schon der Name „Moja Diridika”, bzw. der Anfang des Liedes ist eine solche Verdreifachung der Silbe, ein humorvolles Spiel mit der Sprache. „Moja dika” heißt es eigentlich, wörtlich: „mein Stolz” und übertragen „mein Liebster”. „Dika” wird zu „di-di-dika” und dieses zu „di-ri-dika”. (3)

Eine augenzwinkernde Nebenbemerkung zum Text sei uns noch erlaubt: In der letzten Strophe taucht das Wort „krumpir” für „Kartoffel” auf – offensichtlich ein Lehnwort aus Südwestdeutschland,wo die Kartoffel „Grumbiere” (hochdeutsch „Grundbirne”) heißt. 


(1) „When any Croatian dance has any more than two parts, it’s not old. With three parts, it’s relatively new. With four AND an SATB score (Soprano, Alto, Tenor, and Bass), it’s REALLY NEW.” (https://sfdh.us/encyclopedia/moja_diridika.html)

(2) Wortwiederholungen sind ein beliebtes Stilmittel in südosteuropäischen Volksliedern; Silbenwiederholungen wie in diesem Fall sind dagegen eher selten, dadurch auffälliger und wirkungsvoller. Zu diesen und anderen rhetorischen Figuren, von denen unser Lied noch einige weitere bereithält, siehe Pollok, Karl-Heinz: Studien zur Poetik und Komposition des balkanslawischen lyrischen Volksliedes. Göttingen 1964, S. 81 ff.

(3) Vgl. Tanzbeschreibung von 1981 nach Franklin Evans und Michael Kuharski.