Căluș – eine Nachbemerkung

Im Februar 2019 haben wir uns ausführlich mit dem „Căluș – ein Ritual im Niedergang” beschäftigt. Bei den Recherchen zu diesem Thema fiel uns schon damals eine äußerliche Ähnlichkeit der Trachten, der Zusammensetzung der Gruppen und einigen Elementen des Tanzes zwischen Căluș aus Rumänien, Morris-Tänzen aus England und Baile de Bastones aus Spanien auf. Nicht in allen Fällen, aber doch auffällig oft kleiden sich die Tänzer dieser drei Traditionen auf die gleiche Weise in lange weiße Hemden über der Hose mit breitem, buntem Gürtel und bunten (meist roten) über der Brust gekreuzten Schärpen, reich geschmückten Hüten mit bunten Bändern und Schellen an den Knien. In den Händen halten sie einen oder zwei Stöcke, ähnlich einem Schwert. Die Gruppen haben einen Chef und einen Spaßmacher. In bestimmten Phasen ihres Tanzes marschieren sie im Gänsemarsch im Kreis. Diese Gemeinsamkeiten sind von Fall zu Fall mehr oder weniger ausgeprägt, in der Summe jedoch so auffällig, daß sie, wie wir meinen, kein Zufall sein können, obwohl die Länder, in denen diese Tänze leben, beinahe an den äußersten Enden Europas liegen. Wie kann das sein? 

Das sei reine Spekulation, da es für einen gemeinsamen Ursprung keinerlei Belege gebe, so hörten wir, als wir diese Frage mit Kennern der eropäischen Folklore diskutierten. 

Nun haben wir aber eine Erklärung entdeckt, die durch ihre Plausibilität besticht, obwohl auch sie Beweise schuldig bleibt. Wir meinen, wir sollten sie hier unseren Lesern bekanntmachen. 

Theodor Vasilescu, Folkloretanz-Experte und -Lehrer aus Rumänien erklärte anläßlich eines Aufenthalts in den USA gegenüber seinen Gastgebern: 

Der Căluș und die mit ihm verwandten Traditionen gehen zurück auf die Römische Kolonisation; sie werden überall dort praktiziert, wo die Römer geherrscht haben, in Südengland, Portugal, Spanien, Italien, Südfrankreich und Rumänien. 

Die Ähnlichkeiten sind derart augenfällig, daß sogar rumänische Călușari sich davon täuschen lassen, wie Vasilescu in einer Anekdote berichtet: 

Als er in jungen Jahren mit einer Tanzgruppe nach England reiste, schlief er mit seinen Kameraden im Zug im Bahnhof von Stratford-on-Avon. Als er erwachte, sah er draußen eine vorbeigehende Gruppe von Morris-Tänzern. Er weckte seine Freunde und alle dachten, das seien Călușari. Sie gingen hinaus, um sie tanzen zu sehen, und einer der Rumänen meinte: „Aber sie spielen die falsche Musik!” (Aus der Encyclopedia der Society of Folk Dance Historians)

Maurice Louis setzt sich in seinem Buch „Le Folklore et la Danse” (1963) in dem Kapitel über die Schwerttänze, zu denen die genannten drei zählen, intensiv mit allen ihren Spielarten in allen Regionen ihres Vorkommens in Europa auseinander. Dabei kommt er zu dem Schluß, daß ihr Ursprung als Vegetations- und Heilungsritus weit zurückreicht in die Frühzeiten der Vorgeschichte der Menschheit („… ces danses – que tous les historiens s’accordent à considérer comme d’une ancienneté remontant aux époques les plus reculées de la préhistoire”, a.a.O. S. 246). Daraus folgt erstens, daß die römische Kolonisation als Erklärung für ihre Verbreitung wahrscheinlich entbehrlich ist und zweitens, daß sie im langen Verlauf ihrer Geschichte eine Vielzahl von Modifikationen und Verstümmelungen erlitten haben, insbesondere unter dem abwehrenden Einfluß der christlichen Kirche, der sie als heidnisches Erbe ein Dorn im Auge waren. Sicherlich erklärt sich dadurch auch das heutige Vorkommen dieser Tänze als isolierte Phänomene in großer geographischer Entfernung voneinander; mit großer Wahrscheinlichkeit waren sie ursprünglich, d.h. in der Antike und im Frühmittelalter, flächendeckend verbreitet. Allein dadurch, daß sie nur noch in Form weit auseinanderliegender Reste existieren, fallen uns heute Căluș, Morris-Tänze und Baile de Bastones mit ihrer Ähnlichkeit auf. Louis widmet den Schwerttänzen ein umfangreiches Kapitel von 80 Seiten – genug Stoff für ein eigenes Projekt.