Što mi e milo

Ein Dauerbrenner des makedonischen Chorgesangs – im Westen. Eine Spurensuche.

Wer in der westlichen Folkloretanz-, Folkloremusik- oder auch Mittelaltermusikszene kennt nicht das dreistimmige Lied über den Laden in Struga, den man so gerne hätte und von dessen Auslage aus man den Mädchen beim Wasserholen zusehen könnte? Vielfach wurde und wird das Stück gesungen, auch von Leuten, die eigentlich mit osteuropäischer Musik kaum etwas zu tun haben; man schwelgt sich hindurch und hier oder da wird der Text – immer in bester Absicht – verhunzt. Den Grad der Verhunzung kann man auf manchen Webseiten oder gelegentlich in CD-Booklets betrachten; denn auch Aufnahmen dieses Chorsatzes wurden im Westen gemacht. Nicht wenige Enthusiasten unternahmen mit Što mi e milo ihre ersten musikalischen Gehversuche im 7/8-Takt; und in manchen Tanzgruppen war und ist es eine Standardmusik für makedonischen lesnoto.

In Vardar-Makedonien (da, wo traditionell lesnoto getanzt wird) kennt praktisch niemand das Stück in dieser Form. Dort ist vor allem eine Liedvariante populär, die im 9/16-Takt daherkommt und sich wunderbar zum devetorka-Tanzen eignet (Što mi e milo em drago) – mit sehr verwandtem Text, aber ganz anderer Melodie – und maximal zweistimmig. Diese Variante wird als gradska pesen („städtisches Lied“) eingestuft und findet sich in mehreren gedruckten Liedersammlungen, wahrscheinlich ist sie zwischen 1842 und 1918 entstanden (1).

Da stellt sich doch die Frage, wie das dreistimmige Što mi e milo in 7/8 in unser aller Ohren und auf unsere Notenständer gekommen ist.

In den frühen 1960er Jahren entstand in den USA im Rahmen des allgemeinen Folk-Revivals das Vokalensemble „The Pennywhistlers” unter der Leitung von Ethel Raim; wohl die erste Band diesseits des damals sehr präsenten Eisernen Vorhangs, die sich aktiv mit osteuropäischer Musik beschäftigte. Auf ihrer zweiten, vielbeachteten LP „Folksongs from Eastern Europe“ (Nonesuch H-72007, 1967) war das dreistimmige Što mi e milo (dort als Shto mi e milo) im 7/8-Takt zu hören – als Stück aus Makedonien. In späteren Jahren sagte Ethel Raim, daß sie die Melodie in einem Buch gesehen oder einfach nur gehört habe, sie habe dann die Harmoniestimmen dazugeschrieben (2).

Gewissermaßen die Nachfolge der 1968 aufgelösten „Pennywhistlers” trat das A-cappella-Ensemble „Laduvane” in den 1970er Jahren an. 1977 gab das Ensemble sein „Laduvane Songbook“ heraus, das sich rasend schnell in der Szene verbreitete – vielfach in Form von Kopien – und auch den Weg nach Europa fand. Etliche Noten daraus sind immer noch im Umlauf, z. B. Ajde Jano, Prsten mi padna und eben auch Ethel Raims Arrangement von Što mi e milo.

Der Umstand, daß vardar-makedonische Musiker in der Regel den Kopf schütteln, wenn man sie nach dieser Variante fragt, hat einen einfachen Grund: das Stück stammt von der anderen Seite des Pirin-Gebirges; aus Bulgarien.

Petko Stajnov, einer der ersten symphonischen Komponisten Bulgariens, arrangierte 1932 das Volkslied Što mi e milo i drago für dreistimmigen Männerchor – in 7/8. Dort finden wir die erste Stimme ähnlich der, die auch Ethel Raim verwendete; Stajnovs Melodie hat einen charakteristischen Schlenker im Refrain (bei „mome Kalino“), der bei Raim so nicht steht. Die zweite Stimme ist auch weitgehend ähnlich in Raims Arrangement (naheliegend, da es sich überwiegend um Terzharmonien handelt), die dritte Stimme unterscheidet sich jedoch erheblich. Woher genau Stajnovs Liedvorlage stammt, läßt sich in der Literatur bisher nicht nachvollziehen; daß es sich aber wahrscheinlich um ein Stück aus der Pirin-Region gehandelt hat, legt der Rhythmus (3-2-2) nahe. Es wäre auch eine Spekulation wert, ob Stajnov den Text des oben erwähnten populären städtischen Liedes in 9/16 mit der von ihm notierten Melodie erst zusammenfügte – leider reagierte die Petko Stajnov Foundation nicht auf Fragen nach der Quelle.

Die erste Tonaufnahme von Što mi e milo i drago entstand um 1936 – im 8/8-Rhythmus (3-2-3). Albert Pinkas, M. Tokušev und ein unbekannter dritter Sänger nahmen Stajnovs Chorsatz mit ein paar kleinen Höhenanpassungen auf (London Record Bulgaria 317 II); der Achter-Takt entspricht etlichen anderen frühen südwest-bulgarischen Aufnahmen von Liedern, die wir heute ausschließlich in 7/8 kennen.

In den frühen 1960er Jahren spielte Kostadin Gugov das Lied zusammen mit dem Orchester von Kosta Kolev ein (Balkanton BHM 5718) – abgesehen vom 8/8-Rhythmus können wir bei dieser Interpretation genau die Melodielinie und die vier Strophen hören, die im Arrangement von Ethel Raim Verwendung fanden. Insofern liegt der Schluß nahe, daß dies die Inspiration für die Fassung der „Pennywhistlers” war.

Ob Gugov eine eigene Vorlage für das Stück hatte oder die erste Stimme des Stajnov-Satzes für sich anpaßte, ist nicht bekannt. Letzteres wäre zumindest nicht ungewöhnlich, da traditionelle Sänger erst dann als richtig gut gelten, wenn sie ein Stück durch individuelle Änderungen zu ihrem eigenen gemacht haben – und möglichst jedes Mal ein klein wenig anders interpretieren. In Kostadin Gugovs Aufnahme desselben Stückes von 1998 (CD „More pile, slavej pile“, Gega GD 1727) kann man vergleichend solche Änderungen hören.

1975 fand die 7/8-Fassung mit variiertem Text und dem zweistimmigen Arrangement des Ansambl Biljana aus Ohrid (als Na Struga dukan da imam auf Jugoton LPY 61188) auch den Weg nach Vardar-Makedonien, brachte es aber zu keiner größeren Bekanntheit.

(1) Kaufman, Nikolaj: 1500 Bâlgarski gradski pesni. Pârvi tom. Varna 2005

(2) Information von Mary Sherhart im Diskussionsforum von eefc.org, ca. 2005